Tragikomischer Selbstverwirklichungstrip – Becks letzter Sommer

„Sie sind hier, weil Sie keine Entscheidungen treffen. Und das ist schlecht. Denn wenn Sie es nicht tun, dann tut’s das Leben für Sie. Und das Leben trifft oft die schlechteren Entscheidungen.“

Robert Beck steckt in einer Art Midlifecrisis. Er ist Ende 30 – und statt gefeierter Rockstar ist er gelangweilter Lehrer geworden. Beck sträubt sich gegen feste Bindungen, sein kaltschnäuziger Vater ist tot und seine Mutter möchte er nicht einmal mehr zur Beerdigung sehen. Die einzige emotionale Konstante in seinem Leben ist sein deutschafrikanischer, psychisch labiler und hypochondrischer Freund Charlie, mit dem er abends um die Häuser zieht.

Doch dann trifft Beck auf zwei Menschen, die sein Leben für immer verändern sollen. Lara – die Frau, die eigentlich gar nicht sein Typ ist und trotzdem die erste, mit der Beck vielleicht länger als drei Monate zusammen sein möchte. Und sein Schüler Rauli Kantas, musikalisches Ausnahmetalent. Plötzlich schöpft Beck Hoffnung, dass sein Leben vielleicht doch kein Ende in der Mittelmäßigkeit finden muss, dass er noch immer groß rauskommen kann – und nimmt den geheimnisvollen Rauli unter seine Fittiche. Mit sehr viel Eigennutz und einer gehörigen Portion Neid macht Beck sich daran, Rauli zu einer großen Musikerkarriere zu verhelfen. Doch der junge Litauer kämpft gegen seine eigenen Dämonen – und bald ist ganz und gar nicht mehr klar, wer hier eigentlich wen instrumentalisiert.

„Wie einfach und kompliziert es ist. Ich brauche nur vier oder fünf Tasten in der richtigen Reihenfolge zu spielen, und schon hab ich einen Welterfolg. Auf der anderen Seite ist es viel wahrscheinlicher, dass ich mein Leben lang die falschen Tasten in der falschen Reihenfolge spielen werde.“

Als sein Kumpel Charlie dann auch noch einen psychischen Zusammenbruch erleidet und seine Beziehung zu Lara in den Sternen steht, findet sich Beck plötzlich wieder auf einem verrückten Roadtrip quer durch Europa – von München bis nach Istanbul – und konfrontiert mit der Frage, was er eigentlich mit seinem Leben anfangen möchte.


„Vielleicht gewinnen Sie ja auch gar nichts dabei. Nur eines steht fest: Wenn Sie es nicht tun, verlieren Sie.“

Nachdem ich ‚Vom Ende der Einsamkeit‘ verschlungen und zu meinem neuen Lieblingsbuch erkoren hatte, war natürlich klar, dass ich mir auch die vorherigen Werke von Benedict Wells zulegen musste. ‚Becks letzter Sommer‘ ist sein Debütroman und als solchen fand ich ihn schon ziemlich beeindruckend. Der Autor hat einfach ein grundlegendes Talent für Sprache und Dialoge – und auch ein Talent, fundamentale Fragen und Ängste des Lebens einzupflechten – ohne seine Leser emotional zu überfrachten.

 

„Stell dir vor“, sagte sie. „Vierundneunzig Jahre alt. Das muss ein tolles Gefühl sein.“ „Nein“, sagte Beck. „Ich glaube, das ist ein ganz beschissenes Gefühl. {…} Du bist einsam, alle um dich herum sind tot, für neue Freunde bist du zu alt. Dir tut alles weh. Du gehst abends ins Bett, siehst noch fern, dann legst du deine Brille auf den Nachtisch und knipst das Licht aus. Und du weißt, dass du am nächsten Morgen vielleicht nicht mehr aufwachst. {…} Und es gibt keinen Ausweg, keinen Vertrag, den man verlängern kann. Deine Zeit ist um.“

Was Benedict Wells in ‚Vom Ende der Einsamkeit‘ in Perfektion gelungen ist, findet sich hier andeutungsweise. Jedoch muss ich bekennen, dass mich das Buch und seine Charaktere nicht so gepackt haben wie im neuesten Werk. Das wäre aber für einen Debütroman auch ziemlich viel verlangt – zumal meine Messlatte nach ‚Vom Ende der Einsamkeit‘ wohl auch recht hoch lag. Schade fand ich, dass die besuchten Städte während des Road Trips nur am Rande erwähnt werden und nicht wirklich atmosphärisch rüber kommen.

Die wesentlichen Themen des Lebens scheinen Wells zu beschäftigen. So geht es auch in diesem Buch um Ängste und Einsamkeit, um Freundschaft und Liebe, um Verlust und die Angst vorm Tod, um Talent, Mut und Selbstverwirklichung.

„Auf einmal hielt er es nicht mehr aus. Er stand ruckartig auf, wollte irgendwas tun, irgendwas verändern. Seine Fäuste waren geballt. Da war so viel Wille.
Eine Weile stand er einfach nur so da und wollte.
Dann setzte er sich wieder hin und sah fern.“

‚Becks letzter Sommer‘ ist ein tragikomischer Roman über unerfüllte und erfüllte Träume, über Freundschaft und Neid, über die Liebe, die Musik und das Leben an sich – schräg, humorvoll und scharfsinnig. Ich vergebe 4 Sterne.

Zitat_Becks letzter Sommer

Buchinformationen

Becks letzter Sommer von Benedict Wells, erschienen im September 2008, Diogenes Verlag, 464 Seiten. 12,00 Euro.

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Über den Autor

„Benedict Wells wurde 1984 in München geboren. Im Alter von sechs Jahren begann seine Reise durch drei bayerische Internate. Nach dem Abitur 2003 zog er nach Berlin. Dort entschied er sich gegen ein Studium und widmete sich dem Schreiben. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit diversen Nebenjobs. Sein vielbeachtetes Debüt ›Becks letzter Sommer‹ erschien 2008, wurde mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet und 2015 fürs Kino verfilmt. Sein dritter Roman ›Fast genial‹ stand monatelang auf der Bestsellerliste. Nach Jahren in Barcelona lebt Wells inzwischen wieder in Berlin.“


Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur, Roman
Subjects: Abenteuer, Angst, Einsamkeit, Freundschaft, Hypochonder, Leben, Lebenswege, Lehrer, Liebe, München, Musik, Mut, Selbstverwirklichung, Talent, Tod, Traum, Verlust

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