Authentisch und vielschichtig: Montauk

„Ich möchte diesen Tag beschreiben, nichts als diesen Tag, unser Wochenende und wie’s dazu gekommen ist, wie es weiter verläuft. Ich möchte erzählen können, ohne irgend etwas dabei zu erfinden. […]

Montauk. Auf einer Lesereise in New York lernt der Schriftsteller Max Frisch 1974 die junge Verlagsangestellte Lynn kennen – und verbringt mit ihr ein Wochenende in Montauk, einem Dorf an der Ostspitze von Long Island. Er steht kurz vor seinem 63. Geburtstag, sie ist 30 Jahre alt. Im Laufe des Wochenendes fasst Frisch einen Entschluss: er möchte über dieses Wochenende schreiben. So wie es ist, ganz authentisch, ohne etwas hinzuzufügen, zu beschönigen, zu dramatisieren. Das Wochenende löst in Frisch Reflexionen seines Lebens aus – und so erinnert er sich an seine Ehen, an vergangene Beziehungen und Leidenschaften, an Freunde und Neider, an seine Eltern und sein Leben als Schriftsteller. Er sinniert über das Leben und den Tod – und so scheint ein einziges Wochenende ein ganzes Leben in sich zu bergen.

„Ohne Personnagen zu erfinden; ohne Ereignisse zu erfinden, die exemplarischer sind als seine Wirklichkeit; ohne auszuweichen in Erfindungen. Ohne seine Schriftstellerei zu rechtfertigen durch Verantwortung gegenüber der Gesellschaft; ohne Botschaft. Er hat keine und lebt trotzdem. Er möchte bloß erzählen (nicht ohne alle Rücksicht auf die Menschen, die er beim Namen nennt): sein Leben.“

Montauk ist eine autobiografische Erzählung des Schweizer Schriftstellers Max Frisch (15. Mai 1911 – 4. April 1991). Wenn auch die vorherigen Werke Frischs stets autbiografische Züge trugen und er darin sein Lieben und sein Leiden mit den Frauen thematisierte, so nimmt Montauk im Gesamtwerk des Autors eine Sonderstellung ein, denn hier ist der Protagonist tatsächlich er selbst, die Geschichte ist nicht fiktiv, sondern real und intim. In seiner Erzählung finden sich unzählige Puzzleteile zu Frischs Leben, die jedoch auch zusammen gesetzt immer noch kein Ganzes ergeben. Die Realität eines Menschen ist vielschichtig, ebenso wie seine Gedanken. Und daher schreibt der Autor auch am Ende seines Werkes:

„DIES IST EIN AUFRICHTIGES BUCH, LESER
und was verschweigt es und warum?“

Wir lernen also viel von Frisch in diesem Werk kennen, doch niemals all seine Faszetten. Und doch merkt man: dieses Buch ist authentisch und sehr privat. Lynn steht dabei für Alice Locke-Carey, mit der der Autor tatsächlich ein Wochenende in Montauk verbrachte.

Die wechselhaft perspektivischen Szenen sind voll von poetischer Schönheit. Frisch schreibt über seine gescheiterten Ehen und Beziehungen, er schreibt über das Altern und die Angst vor dem Tod, über falsche und echte Freundschaften, er schreibt über Literatur, Leidenschaft und das Leben als Autor, über sich als Schriftsteller, über Neider und Selbstzweifel.

„Ich träume viel vom Tod. Auch wenn kein Traum mich mahnt, kommt es vor, daß ich mit Schrecken erwache: Ich bin jetzt 61, 62, 63. Wie wenn man auf die Uhr blickt und sieht: So spät ist es schon! Die Angst vor dem Alter ist melancholisch, das Todesbewußtsein etwas anderes: ein Bewußtsein auch in der Freude.“

Das Werk wurde bei Erscheinen sehr kontrovers diskutiert. Während die einen – unter anderem Marcel Reich-Ranicki – Montauk als das bedeutendste Werk Frischs loben, empfanden die anderen es als Skandal, nicht nur weil der Autor sich selbst entblößt. Große Teile des Buches nehmen seine gescheiterten Beziehungen ein und so schreibt er sowohl über seine Liaison mit der Dichterin Ingeborg Bachmann, zu der er eine unheilvolle und an Hörigkeit grenzende Beziehung unterhielt, als auch über seine beiden Ehen, besonders die zweite Ehe mit der 30 Jahre jüngeren Marianne, für die er Bachmann verließ und die er ebenfalls betrog. „Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht“, schreibt er über Ingeborg Bachmann und das ist wohl zurückhaltend formuliert, wenn man die Liebes- und Lebensgeschichte der Beiden betrachtet. Beide Frauen sehen sich kompromittiert und möchten die Veröffentlichung des Buches unterbinden.

„Ich habe nicht mit dir gelebt als literarisches Material, ich verbiete es, dass du über mich schreibst.“

Aber Frisch ist unzufrieden mit seinem literarischen Erbe. Er möchte nicht länger verschweigen wer er ist, er möchte keine falschen Tatsachen vorspiegeln und nicht länger „irgendeine Öffentlichkeit bedienen mit Geschichten“.

„Ich habe mir mein Leben verschwiegen. Ich habe irgendeine Öffentlichkeit bedient mit Geschichten. Ich habe mich in diesen Geschichten entblößt, ich weiß, bis zur Unkenntlichkeit. Ich lebe nicht mit der eigenen Geschichte, nur mit Teilen davon, die ich habe litararisieren können. […] Ich habe mich selbst nie beschrieben. Ich habe mich nur verraten.“

Daher schreibt der Autor dennoch über seine Frauen und auch über seine Kinder und die Schuld, die er allen gegenüber auf sich geladen hat.

„Ein Nachmittag am Schlachtensee; wenn Du fröhlich bist, vergesse ich für eine Weile wieder Dein Unglück mit mir… […] Was machen wir zusammen falsch? […]
Sie wird gebraucht, unsere Schuld, sie rechtfertigt viel im Leben anderer.“

Vielleicht ist das auch der Grund, warum es ihn an diesem Wochenende – kurz vor seinem 63. Geburtstag – drängt, alles aufzuschreiben, über sein Leben zu resümmieren, ganz ungeschönt: weil seine beiden Ehen und seine vielen Beziehungen alle mit Schuld aufgeladen sind, weil sein Leben mit Schuld beladen ist… So schreibt der Autor am Ende des Buches:

„Lynn wird kein Name für eine Schuld.“

Er möchte darüber schreiben wer er ist, möchte ganz er selbst sein. Doch wieviel Wahrheit steckt in diesem Buch und was erzählt es nicht? Das werden wir wohl nie erfahren. Frisch gelingt es ganz hervorragend, Leben und Fiktion zu vermischen, bis die Grenzen verschwimmen und man das eine vom anderen nicht unterscheiden kann. Immer wieder wechselt der Autor die Perspektiven, wechselt zwischen der ersten und dritten Person, zwischen Distanz und Nähe.

Für mich war es das erste von Frischs Werken – aber ich bin bereits am nächsten dran. Homo faber liegt derzeit auf meinem Nachttisch. Und ich bin sicher, auch dieses wird nicht das letzte sein.

Wer sich mit dem Autor und Mann Max Frisch näher beschäftigt, wird einen interessanten Menschen mit einem spannenden Leben vorfinden. Seine Beziehungen, seinen Hang zu Affären und jungen Frauen hat er stets in seinen Werken verarbeitet – und die Liebeskatastrophe zu Ingeborg Bachmann haben beide schriftstellerisch versucht zu verarbeiten. Sich geradezu einen schriftstellerischen Krieg geliefert, der bis weit nach ihrem Tode andauerte – denn nach und nach wurden immer mehr, zum Teil bislang unveröffentlichte Werke, Dichtungen und Aufzeichnungen bekannt. Wer mehr darüber lesen will, der sollte in die Werke der Beiden eintauchen:

Max Frisch: „Mein Name sei Gantenbein“
Max Frisch: „Montauk“
Ingeborg Bachmann: „Das Buch Franza – Requiem für Fanny Goldmann“
Ingeborg Bachmann: „Malina“
Ingeborg Bachmann: „Male oscuro. Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit“

Hier noch ein paar spannnende Spiegel-Artikel zum Autor Max Frisch und seinen opfervollen Beziehungen :

Feige war er nie – im Mai 2011 wäre Max Frisch 100 Jahre alt geworden…

Der lächelnde Mörder – Ingeborg Bachmann und Max Frisch waren das Paar der deutschsprachigen Literatur. Jetzt zeigt ein Band aus dem Nachlass, wie die Dichterin an der Trennung zugrunde ging.

Der erste Satz

„Dies ist ein aufrichtiges Buch, Leser, es warnt dich schon beim Eintritt, daß ich mir darin kein anderes Ende vorgesetzt habe als ein häusliches und privates…

Buchinformationen

Montauk von Max Frisch, Taschenbuch Flex Cover, Pocketausgabe, September 2017, bei suhrkamp taschenbuch 4811. 219 Seiten, 10,00 Euro. Originalausgabe erschienen 1975.

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Über den Autor

Max Frisch wurde am 15. Mai 1911 in Zürich geboren und starb am 4. April 1991 an den Folgen eines Krebsleidens in seiner Wohnung in Zürich. 1930 begann er sein Germanistik-Studium an der Universität Zürich, das er jedoch 1933 nach dem Tod seines Vaters (1932) aus finanziellen Gründen abbrechen musste. Er arbeitete als Korrespondent für die Neue Zürcher Zeitung. Seine erste Buchveröffentlichung Jürg Reinhart. Eine sommerliche Schicksalsfahrt erschien 1934 in der Deutschen Verlags-Anstalt Stuttgart. 1950 erscheint Das Tagebuch 1946-1949 als erstes Werk Frischs im neugegründeten Suhrkamp Verlag. Zahlreiche weitere Publikationen folgten.“


Genre: Belletristik, Biografie, Erzählung, Klassiker, Roman
Subjects: Affäre, Angst, Beruf, Bücher, Ehe, Familie, Freundschaft, Kinder, Leben, Lebenswege, Leidenschaft, Liebe, Schriftstellerei, Schweiz, Selbstverwirklichung, Tod, USA

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