Eines der besten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe – Americanah

„Ich kam aus einem Land, wo Rasse keine Bedeutung hatte. Ich hatte mich selbst nie als Schwarze wahrgenommen. Zu einer Schwarzen wurde ich erst, als ich nach Amerika kam. “

Lagos/Princeton/London. Ifelmelu und Obinze verlieben sich im Nigeria der Neunziger Jahre – und wie so viele andere Nigerianer warten sie sehnsüchtig auf eine Gelegenheit, die Militärdiktatur zu verlassen und nach Amerika auszuwandern. Gemeinsam träumen sie von einem besseren Leben, einem Leben mit Chancen und wirklicher Freiheit. Nachdem Ifemelu dann auch tatsächlich dank eines Stipendiums in Princeton studieren kann, spürt sie schnell, dass ihre Freiheit in Amerika Grenzen hat. Denn während ihres Studiums kann sie sich nur durch Schwarzarbeit in diesem Land über Wasser halten, in dem erstmals ihre Hautfarbe von Bedeutung ist. Ihre verzweifelte Situation bringt Ifemelu dazu, die Beziehung zu Obinze, der nach wie vor in Lagos lebt, zu beenden. Und so trennen sich die Wege der beiden Liebenden. Während Ifemelus Blatt sich wendet und sie mit einem Blog Erfolge feiert, in dem sie als „nichtamerikanische Schwarze“ über ihre Beobachtungen von Diskriminierung gegenüber Schwarzen in den USA schreibt, versucht Obinze schließlich sein Glück in London. Viele Jahre nach ihrer Trennung kreuzen sich ihre Wege erneut in Nigeria – und sie stehen vor einer Entscheidung, die ihr bisher aufgebautes Leben völlig auf den Kopf stellt.

Mit ‚Americanah‘ ist Autorin Chimamanda Ngozi Adichie ein aufrüttelnder, kluger, hochpolitischer Roman gelungen, der seinen Lesern eine ganz neue Sicht auf den Rassismus unserer Zeit aufzeigt. Auf ihrem Blog beschreibt Protagonistin Ifemelu als Einwanderin, wie sich die weißen Amerikaner gegenüber ihren schwarzen Mitbürgern verhalten – und dabei immer irgendwo zwischen Diskriminierung und betonter Liberalität agieren. Und sie zeigt auf, dass – obwohl Obama zum ersten schwarzen Präsidenten gewählt wird, obwohl Weiße den Schwarzen gegenüber nachdrücklich tolerant und politisch korrekt agieren – die eigentliche Diskriminierung noch lange kein Ende gefunden hat…  und das Rasse eben doch eine Rolle spielt. Der Roman ist aber nicht nur sehr scharfsinnig, sondern auch überaus humorvoll.

Ifemelu ist dabei ein Charakter, der einem gleich ans Herz wächst mit ihrer selbstbewussten Art, sich und ihre Umwelt zu analysieren, so ehrlich, so gnadenlos gerade heraus.

„[…] Und eine schicke haitianische Dichterin mit breiten Hüften und einem größeren Afro als Ifemelu nickte und sagte, dass sie in Kalifornien drei Jahre mit einem weißen Mann zusammen gewesen sei und Rasse für sie beide nie ein Thema gewesen wäre. „Das ist gelogen“, sagte Ifemelu. […] Obwohl Ifemelu zu diesem Zeitpunkt begriffen hatte, dass Leute wie diese Frau sagten, was sie sagten, um anderen kein Unbehagen zu bereiten und zu beweisen, dass sie sehr wohl zu schätzen wussten, „wie weit wir gekommen sind“, obwohl sie es sich zu diesem Zeitpunkt im Kreis von Blaines Freunden gemütlich gemacht hatte, einer davon der neue Freund der Frau, und obwohl sie es hätte durchgehen lassen sollen, tat sie es nicht. Sie konnte nicht. Wieder einmal waren die Worte stärker als sie, zwängten sich durch ihren Hals und purzelten heraus.“

Auch Ifemelu geht im Laufe des Romans Beziehungen zu weißen und schwarzen Männern ein, ist sowohl mit Schwarzen als auch mit Weißen befreundet. Sie arbeitet als Hausmädchen für ein weiße, wohlhabende Familie und stets kommt man als Leser in den Genuss ihrer scharfsichtigen, klugen und ungeschminkten Überlegungen. Wir erleben Ifemelu beim Glätten ihrer Haare im afrikanischen Salon und erfahren dabei soviel über die afrikanische Kultur, über Rasse, Hautfarben, Haarstrukturen und andere Nuancen, dass wir einen völlig neuen Blick auf den Alltag schwarzer Mitbürger erhalten…

Der Roman spielt auf drei Kontinenten und man lernt viele, hervorragend gezeichnete Charaktere aus Amerika, Europa und Afrika kennen, die dem Leser im Gedächtnis haften bleiben. Ganz besonders haben mich die Geschichten der Nigerianer zum Nachdenken gebracht, die in Amerika das gelobte Land sehen – und die zuhause alles aufgeben für die Chance auf ein besseres Leben im Westen. Hervorragend beschreibt die Autorin, die selbst aus Lagos stammt, wie viele dieser Menschen ein düsteres Leben in Amerika fristen, „ihr Leben totgeschlagen von der Arbeit“, um dann einmal im Jahr ihre Verwandten in Nigeria zu besuchen, mit einem Koffer voll billigen Kleidern und Armbanduhren, und dadurch ein „in den Augen ihrer Verwandten auf Hochglanz poliertes Bild ihrer selbst zu sehen“.

Gut lernt man verstehen, warum diese Menschen auf ein besseres Leben hoffen, warum sie als sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge das Exil in einem fremden, gelobt geglaubten Land auf sich nehmen.

„Alexa und die anderen Gäste und vielleicht sogar Georgina verstanden, dass man vor einem Krieg flüchtete, vor der Art Armut, die menschliche Seelen zerdrückte, aber sie würden das Bedürfnis, der bedrückenden Lethargie der Chancenlosigkeit zu entkommen, nie begreifen. Sie verstanden nicht, warum Menschen wie er, die gutgenährt und ohne Durst, aber eingemauert in Unzufriedenheit aufgewachsen waren, die von Geburt an dazu konditioniert waren, auf andere Orte zu blicken, und felsenfest davon überzeugt waren, dass das wahre Leben an diesen anderen Orten stattfand, dass diese Menschen jetzt entschlossen waren, gefährliche Dinge zu tun, illegale Dinge, um zu entkommen. Keiner von ihnen war unterernährt oder ein Vergewaltigungsopfer oder stammte aus einem niedergebrannten Dorf, sie waren einfach nur ausgehungert nach Wahlmöglichkeiten und Sicherheit.“

Obwohl der Roman in den Neunziger Jahren sowie im ersten Jahrzehnt des Jahres 2000 spielt, erkennt man in den Worten der Autorin Parallelen zur jetzigen politischen Situation, zum Beispiel als Obinze einen Umschwung der Stimmung gegenüber Asylbewerbern in Großbritannien wahrnimmt:

„Der Wind, der über die Britischen Inseln wehte, stank nach der Angst vor Asylbewerbern und infizierte alle mit Panik vor einem bevorstehenden Untergang. Die Artikel wurden geschrieben und gelesen schlicht und einfach, als lebten Verfasser und Leser in einer Welt, in der die Gegenwart losgelöst von der Vergangenheit existierte, und sie zogen nie in Betracht, dass es der normale Lauf der Geschichte war: der Strom schwarzer und brauner Menschen nach Großbritannien aus Ländern, die Großbritannien erschaffen hatte. Und doch verstand er es. Diese Verdrängung der Vergangenheit musste tröstlich sein.“

2015 wurde dieser Roman von Literaturkritikern im Rahmen einer BBC-Auswahl der besten 20 Romane zu einem der bislang bedeutendsten Werke dieses Jahrhunderts gewählt.

Americanah ist eine gesellschaftspolitische Spiegelung, eine scharfsinnige Analyse der Situation von Einwanderern – aber auch eine große Liebesgeschichte, die ohne jeglichen Kitsch auskommt. Kurzum: Unbedingt lesen!

Der erste Absatz

„Princeton im Sommer roch nach gar nichts, und obwohl Ifemelu das friedliche Grün der vielen Bäume, die sauberen Straßen und stattlichen Häuser, die maßvoll überteuerten Geschäfte und die ruhige unwandelbare Atmosphäre wohlverdienter Eleganz mochte, war es das Fehlen eines Geruchs, das ihre am besten gefiel, vielleicht weil alle anderen amerikanischen Städte, die sie kannte, unverwechselbar rochen.“

Buchinformationen

Americanah von Chimamanda Ngozi Adichie, Taschenbuchausgabe, 5. Auflage, erschienen im November 2016 im S. Fischer Verlag. Aus dem Englischen von Anette Grube. 608 Seiten, 10,00 Euro. Deutsche Erstausgabe erschienen 2015 im S. Fischer Verlag. Originalausgabe erschienen 2013 unter dem Titel „Americanah“ bei Fourth Estate, London.

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Über die Autorin

Chimamanda Ngozi Adichie ist eine der großen jungen Stimmen der Weltliteratur. Ihr Werk wird in 37 Sprachen übertragen. Für ›Americanah‹ erhielt sie den Heartland Prize for Fiction und den National Book Critics Circle Award. Ihr Roman ›Blauer Hibiskus‹ war für den Booker Prize nominiert, ›Die Hälfte der Sonne‹ erhielt den Orange Prize for Fiction 2007. Mit ihrem TED-Talk ›We should all be Feminists‹ verankerte die Nigerianerin den Feminismus fest in der Popkultur. Auf Deutsch liegt der Text im FISCHER Taschenbuch vor: ›Mehr Feminismus! Ein Manifest und vier Stories‹. Zuletzt erschien im FISCHER Taschenbuch ›Liebe Ijeawele. Wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden‹. Chimamanda Ngozi Adichie wurde 1977 in Nigeria geboren und lebt heute in Lagos und in den USA. „


Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur, Gesellschaftsroman, Liebesroman, Politischer Roman, Roman
Subjects: Afrika, Asyl, Diskriminierung, Einwanderung, Familie, Gesellschaft, Leben, Lebenswege, Liebe, Rassismus, Traum, USA

2 Reaktionen

  1. Die Freiberuflerin
    Die Freiberuflerin um · Antwort

    Hört sich interessant an, Danke für die Vorstellung!

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