„A diamond is forever“
Um diesen wohl bekanntesten und langlebigsten Slogan der Werbebranche rankt sich der Roman „Die Verlobungen“ von J. Courtney Sullivan.
Während in Deutschland nach wie vor eher der Goldring die ewige Liebe symbolisiert, ist in den USA der diamantene Verlobungsring das Maß aller Dinge. Ob arm oder reich, ob jung oder alt. Wer etwas auf sich hält, wer seine Frau liebt, der gibt sein dreifaches Monatsgehalt aus, um die Frage aller Fragen mit einem Diamanten zu besiegeln. Doch dieses Bedürfnis, seine (ewige?) Liebe durch einen teuren Diamanten zu symbolisieren ist kein Urbedürfnis der Menschheit. Es wurde kreiert, von der Werbebranche über Jahrzehnte hinweg in die Köpfe gepflanzt. Und das mit Erfolg.
„In den letzten neun Jahren hatte De Beers Millioen für Werbung ausgegeben, die den Namen der Firma nicht erwähnte. Den Diamantlieferanten nie direkt zu benennen war eines der wichtigsten Prinzipien der De-Beers-Werbung. {…} Sie warf einen Blick auf das neueste Strategiepapier: Es geht um Massenpsychologie, denn unser Ziel ist es, den diamantenen Verlobungsring zu eier psychologischen Notwendigkeit zu machen. Zielgruppe: etwa siebzig Millionen Menschen im Alter von fünfzehn aufwärts, deren Weltsicht wir in unserem Sinne beeinflussen wollen. Na dann war ja alles klar.“
Der Roman erzählt die Lebens- und Liebesgeschichten von vier verschiedenen Paaren denen nur eines gemein ist: die Verbindung zum diamantenen Verlobungsring. Mit großen Geschick und mit Leichtigkeit lässt die Autorin ihre Leser über verschiedene Jahrzehnte hinweg in das Leben und die Liebe der Protagonisten abtauchen. Es fällt leicht, sich in die Figuren hineinzuversetzen, die so verschieden sind und einem doch sofort alle ans Herz wachsen. Evelyn, deren Sohn Frau und Kinder für eine neue Liebe verlässt. James, der sich und seine Familie gerade so über Wasser hält und sich wünscht, ihr mehr bieten zu können. Kate, die das Konstrukt der Ehe für Irrsinn hält, nun aber Trauzeugin ihrer homosexuellen besten Freunde wird. Und Delphine, die in Paris alles zurücklässt – Mann, Geschäft und Heimat – um ihrer Leidenschaft zu folgen und mit einem jungen Musiker nach New York zu gehen.
Die Geschichte lässt den Leser nachdenklich zurück in einer Welt, in der Hochzeiten den Wert eines Kleinwagens haben und Menschen für Blutdiamanten sterben. Doch es ist keineswegs ein deprimierendes Buch. Im Gegenteil. Es lässt uns nachdenken, ohne dabei an Leichtigkeit und Humor zu verlieren.
Der ungewöhnliche Lebensweg der Frances Gerety, die sich in den 40er Jahren gegen die Ehe und für die Karriere in der damals größten Werbeagentur Ayer entschieden hat – und der Blick hinter die dortigen Kulissen – fasziniert. Frances Gerety kann als Peggy Olson des wirklichen Lebens gelten, denn genau wie Peggy in der Fernsehserie „Mad Man“ bahnt sich Frances als erste weibliche Werbetexterin ihren Weg nach oben. Ihr Slogan “A Diamond Is Forever”, den sie in einer schlaflosen Nacht für den Diamantlieferanten De Beers entworfen hat – und der seit dem Jahr 1948 jede Diamantwerbung ziert – wurde 1999, zwei Wochen bevor Frances Gerety im Alter von 83 Jahren starb, zum Jahrhundertslogan gekürt.
„Die Ewigkeit wurde Frances anscheinend nicht mehr los. Sie schloss die Augen und sagte: „Lieber Gott, schick mir eine Idee.“ Dann kritzelte sie etwas aufs Papier und nahm es mit ins Schlafzimmer, wo sie es auf den Nachttisch legte. {…} Als sie der Wecker drei Stunden später weckte, las sie als Erstes, was sie da geschrieben hatte: A Diamond Is Forever. Erledigt.“
Und nicht nur in der Werbeindustrie zeigt die Autorin empirische Milieukenntnis. Sie entführt ihre Leser auch in die Welt der klassischen Musik, den Berufsalltag von Rettungssanitätern in den USA und auf den Weg zur Gleichberechtigung homosexueller Paare.
Ein absolut lesenswerter Roman – irgendwo zwischen Gesellschaftsroman und Unterhaltungsliteratur – der die verschiedenen Erzählstränge gekonnt zu einem gemeinsamen Nenner verknüpft. Kein Wunder, dass sich Reese Witherspoon bereits die Filmrechte an diesem Werk gesichert hat. Ich vergebe sehr gute 4 Sterne.
Buchinformationen
Die Verlobungen von J. Courtney Sullivan, Berlin Verlag Taschenbuch, erschienen im Juli 2015, 584 Seiten.9,99 Euro.
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Über die Autorin
„J. Courtney Sullivan lebt als Autorin und Journalistin in New York und schreibt u.a. für die »New York Times«, »Chicago Tribune«, »Elle« und »Men’s Vogue«. »Sommer in Maine« zählte zu den Top Ten der besten Bücher 2011 des »Time Magazine«.“
Blick ins Buch
„Sie war ihrer Leidenschaft gefolgt, was in der Geschichte der Menschheit immer auf direktem Wege ins Unglück geführt hatte. Aber sie war egozentrisch genug gewesen zu glauben, sie könnte eine Ausnahme sein.“
„Den ganzen Tag lang gingen ihr die Missstände in der Welt durch den Kopf, unterbrochen von der Frage, was sie zum Abendessen kochen sollte, wann sie wieder zur Zahnreinigung musste und ob es schon Zeit für ein zweites Kind sei. Kate fragte sich, ob das allen so ging, oder ob die anderen das ausblenden konnten. {…} „Weißt du, Kate“, sagte Mona, „irgendwo gibt es bestimmt noch etwas Schlimmeres als Minenarbeit. Und ohne Diamanten hätten die Afrikaner womöglich gar keine Arbeit.““
„…es überraschte Kate nicht, dass ihr beim Gedanken an letzten April der Arabische Frühling in den Sinn kam, während May an eine Prinzessin im Hochzeitskleid dachte. Ihre Schwester war kein schlechter Mensch, und blöd war sie auch nicht. Sie fand einfach, dass das Leben so schon schwer genug sei und man es sich nicht schwerer machen müsse, indem man sich mit den Schicksalen Fremder befasste.“
„Ihr süßer Kleiner wurde mehr und mehr zu einem Fremden. Wie das hatte passieren können, war Evelyn bis heute schleierhaft. Gerald meinte, dass es keinen Grund für Teddys Entwicklung gäbe, aber Evelyn war überzeugt, dass es die Liebe einer Mutter war, die einen Menschen zu dem machte, was er war. Was hatte sie nur falsch gemacht?“
„Jeff ist wie besessen davon, den heutigen Tag perfekt zu machen. Aber dann haben wir am Ende die perfekte Blumendeko, das perfekte Essen und den perfekten Ort, aber die perfekte Familie kann man nicht mieten. Man muss sich mit der blöden alten zufriedengeben, die man schon hat.“
„Unsere Generation ist wahrscheinlich die erste, in der Ehepartner sich in einer Welt bewegen können, von der der andere rein gar nichts weiß. Jeder Mensch hat ein Mobiltelefon und eine E-Mail-Adresse. Nie war der Seitensprung einfacher.“
„Seine Frau kümmerte sich um ihre Schwiegermutter genauso liebevoll wie um ihre eigene. Sheila verdiente nur das Allerbeste, aber meistens bekam sie nichts als Dreck. Warum war das Leben so ungerecht?“
„Kate starrte in das Innere des Diamanten und fragte sich, woher er gekommen war. Dabei dachte sie noch viel weiter zurück als Jeffrey: Wer hatte ihn wo aus dem Gestein gerissen? Wie viele Finger hatte er während des vergangenen Jahrhunderts geziert? Die meisten seiner Besitzer waren mittlerweile vermutlich tot, und ihre Liebe war mit ihnen gestorben.“
Subjects: Beruf, Familie, Heirat, Leben, Lebenswege, Liebe, Schicksal, USA