„Für ihn ist Afrika ein großes Naturreservat, von Gott geschaffen, um ihm Freude zu bereiten; dass dort auch Menschen leben, hat er nie wirklich bewusst realisiert, geschweige denn, dass er sich für sie oder ihre Lebensumstände interessiert hätte. Afrika ist sein Vergnügungspark, sein Jagdgebiet.“
Afrika. Hunter White, ein wohlhabender amerikanischer Großwildjäger, will seine Sammlung vervollständigen: Die Big Five sind fast komplett, nur das Spitzmaulnashorn fehlt. Doch bevor er zuschlagen kann, kommen ihm Wilderer zuvor. Frustriert macht ihm sein Jagdleiter ein unfassbares Angebot: die Big Six. Was als gewöhnliche Jagdexpedition beginnt, entwickelt sich zu einem moralischen Albtraum – und zwingt nicht nur Hunter, sondern auch die Leser, sich einer verstörenden Frage zu stellen: Was ist ein Leben eigentlich wert?
Gaea Schoeters verlangt ihrer Leserschaft einiges ab – und genau das macht Trophäe zu einem radikalen, eindringlichen und zugleich ein wenig verstörendem Leseerlebnis. „Ethischer Mindfuck“ nannte Dimitri Verhulst das Buch – ein treffender Ausdruck, denn selten schafft es ein Text, moralische Sicherheiten so vehement ins Wanken zu bringen.
Im Mittelpunkt steht Hunter White, steinreicher amerikanischer Geschäftsmann und passionierter Großwildjäger. Er will seine Big Five vollmachen, das Nashorn fehlt noch, doch Wilderer kommen ihm zuvor. Frustriert lässt er sich von seinem Jagdleiter Van Heeren auf eine perfide Idee bringen: die Big Six. Was das bedeutet, muss man selbst lesen – doch spätestens hier bleibt einem der Atem weg.
Schoeters erzählt mit einer sprachlichen Wucht. Ihre Naturbeschreibungen sind nicht bloß Kulisse – Hitze, Gerüche, Geräusche, der Staub unter den Füßen. Es zieht einen hinein in die Natur- und Tierwelt Afrikas, und mitten rein in die Jagd. Doch die Frage, was Jagd eigentlich ist – pure Lust am Töten und Machtdemonstration oder doch ein ökologisch und kulturell begründetes Instrument zum Schutz der Spezies –, stellt sich hier mit unerträglicher Schärfe.
Das Raffinierte: Schoeters lässt ihre Leser:innen nicht unberührt am Rand stehen. Sie zwingt uns, uns auf Hunter einzulassen, ihn bei seinen Rechtfertigungen zu begleiten – dass Jagd Wildbestände reguliert, dass sie Wilderer fernhält, zum Naturschutz beiträgt. Das ohne die teuren Jagdlizenzen in Afrika Wilderer freie Bahn hätten, der Schutz der Wildtiere sich nicht lohnen würde. Bis man plötzlich merkt, dass man in einer perfiden Grauzone angekommen ist, in der Moral und Zynismus unentwirrbar verstrickt sind.
„Auf dem asiatischen Markt sind sie feingemahlen grob geschätzt achtzigtausend Dollar pro Kilo wert, ungefähr das Doppelte vom Goldpreis. Versuch das mal mit einem einfachen Jagdverbot in einem Land zu verhindern, wo drei Viertel der Bevölkerung in Armut leben und Korruption die traditionelle Staatsform ist. (…) nur das, was von wirtschaftlichem Wert ist, ist es wert, beschützt zu werden. (…) Die Zärtlichkeit, mit der die Leute aus dem Westen die Tiere betrachten, ist neumodische Gefühlsduselei. Ein Reiche-Leute-Hobby.“
Ihre Protagonisten beschreibt die Autorin dabei nicht stereotyp, sondern in weiten Teilen vielschichtig. Natürlich entspricht Hunter in seiner Voreingenommenheit und der Überlegenheit des privilegierten, weißen Mannes auch einem Stereotyp, doch sein Innenleben ist durchaus vielschichtig.
Trophäe ist keine leichte Lektüre. Die Grausamkeit mancher Szenen ist vielleicht nichts für Zartbesaitete. Doch gerade in dieser Zumutung liegt die Stärke des Romans: Er provoziert, polarisiert, rüttelt auf – und das auf verschiedenen thematischen Ebenen.
Die Großwildjagd ist in Afrika ein Wirtschaftsfaktor – und wo auf der einen Seite Geld mit Jagdlizenzen gemacht wird, dient es auf der anderen Seite zur Finanzierung von Artenschutzprogrammen. Ein moralisches Dilemma, das Lesende erschrecken lässt, weil sie in Gedanken weiter mitgehen, als ihnen lieb ist.
„Wir nehmen alle Reichtümer und lassen die Probleme dort“, erklärte die Autorin in einem Interview. Ihr Roman greift Themen des Kolonialismus und Postkolonialismus auf und zeigt, welche Spuren unser koloniales Erbe hinterlassen hat – politisch, gesellschaftlich und auch in ökologischer Hinsicht. Zugleich macht er sichtbar, wie viele Menschen bis heute unter den Folgen leiden, die eng mit unserem Lebensstil verbunden sind.
Und am Ende bleibt die eine große, quälende Frage: Was ist ein Leben eigentlich wert?
Fazit
Ein Roman, den man nicht nicht aus der Hand legt und den man auch nach der letzten Seite nicht ad acta legt. Er wirkt nach, bleibt im Gedächtnis. Wer denkt, dies sei ein testosterongetriebenes Buch für jagdbesessene Männer irrt gewaltig. Es geht viel mehr um unseren postkolonialen weißen Blick auf den schwarzen Kontinent und die Spuren, die der Kolonialismus dort hinterlassen hat und die bis heute nachwirken.
„Das hier, begreift er, ist das, wonach er immer so sehr verlangt hat: das echte, wilde Afrika. In all seiner Schönheit und all seiner Grausamkeit.“
Der erste Satz
„Wie ein Raubvogel taucht das Flugzeug am tintenschwarzen Himmel auf, um danach abzubremsen, kurz scheinbar regungslos zu schweben und dann zu einer weitläufigen, kreisenden Bewegung anzusetzen, so als schwanke es zwischen zwei möglichen Beuten,, unentschlossen, auf welche es sich stürzen soll.“
Buchinformationen
„Trophäe“ von Gaea Schoeters, 13.08.2025, Taschenbuch, 256 Seiten Seiten, aus dem Niederländischen von Lisa Mensing, erschienen bei btb Penguin Random House, 14 Euro
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Über die Autorin
„Gaea Schoeters, geboren 1976, ist eine flämische Autorin, Journalistin, Librettistin und Drehbuchautorin. 2012 hat sie den Großen Preis Jan Wauters für ihren kreativen Umgang mit Sprache gewonnen. Für »Trophäe« wurde sie mit dem Literaturpreis Sabam for Culture ausgezeichnet und war für den EU-Literaturpreis nominiert. Der Roman wurde auch von der deutschen Presse begeistert aufgenommen.“
Subjects: Abenteuer, Afrika, Big 5, Gesellschaft, Jagd, Kolonialismus, Natur, Tod, Verlust