Eine bewegende, düstere Parabel auf das Leben: „Die Straße“

„Dann marschierten sie im stahlgrauen Licht die Asphaltstraße entlang, schlurften durch die Asche, jeder die ganze Welt des anderen.“

Irgendwo in Amerika. Ein Vater zieht mit seinem Sohn alleine durch leere, postapokalyptische Straßen. Eine Katastrophe hat die Menschheit vor Jahren heimgesucht, die Welt scheint dem Untergang geweiht. Die Erde besteht nur noch aus Asche, Angst und Verfall, Lebensmittel sind rar, unter den wenigen verbliebenen Menschen gilt das Recht des Stärkeren. Was zählt, ist allein das nackte Überleben. Alles was sie besitzen, was sie zum Überleben brauchen, verstauen der Junge und sein Vater in einem Einkaufswagen. Sie haben nicht viel, zwei Schuss Munition, ihre schon zerschlissenen Kleider am Leib, Konserven, die sie mit Glück über die nächsten Tage bringen – und sich selbst. Wieviel braucht es, um die Hoffnung auf eine Zukunft, um die Hoffnung auf das Leben nicht aufzugeben?

„Im grauen Licht ging er hinaus, blieb stehen und erkannte einen Moment lang die absolute Wahrheit der Welt. Das kalte, unerbittliche Kreisen der hinterlassenschaftslosen Erde. Erbarmungslose Dunkelheit. Die blinden Hunde der Sonne in ihrem Lauf. Das alles vernichtende schwarze Vakuum des Universums. Und irgendwo zwei gehetzte Tiere, die zitterten wie Füchse in ihrem Bau. Geliehene Zeit, geliehene Welt und geliehene Augen, um sie zu betrauern.“

Tja, was soll ich sagen? Ich hätte dieses Buch wohl niemals gelesen, wenn es mir nicht wärmstens ans Herz gelegt worden wäre. Cormac McCarthy hat mit „Die Straße“ einen Weltuntergangsroman geschrieben, bedrückend, abgründig und trostlos. Ich hatte tatsächlich etwas Angst, dieses Buch zu lesen, davor, dass es mir zu sehr auf’s Gemüt schlägt. Aber – ich nehme es vorweg: Ich fand das Buch grandios und bin froh, dass ich es gewagt habe. Ein düsteres Endzeitszenario, das aber tief bewegt. Kein klassischer apokalyptischer Roman würde ich sagen, denn im Vordergrund steht in McCarthys Buch die Beziehung zwischen Vater und Sohn in einer Welt, die kaum noch Anlass zur Hoffnung gibt.

Man weiß nicht, welche Katastrophe der Menschheit in McCarthys Roman zugestoßen ist, man kennt nicht die Namen von Vater und Sohn und nur wenig aus ihrer Vergangenheit. Das spielt in diesem Buch auch kaum eine Rolle. McCarthy hat sich auf’s Wesentliche konzentriert. Denn man spürt sehr genau den Hunger, die Kälte, die ständige Bedrohung, die Angst vor den Mitmenschen, von denen kaum noch jemand zur Seite der Guten zu gehören scheint. Sehr genau fühlt man auch die herzzerreißende Angst eines Vaters um seinen Sohn. Man sieht vor dem inneren Auge die erloschene Welt, fühlt, wie beinahe alles Schöne verschwindet – selbst die Erinnerung daran -, und erlebt als Leser all die Gefühle, die mit diesem düsteren, apokalyptischen Rest eines Lebens einhergehen. Und gleichzeitig spürt man doch sehr intensiv die grenzenlose Liebe des Vaters – und in Gestalt des Kindes erkennt man die Tatsache, dass Güte und Mitgefühl im Menschen veranlagt sind. Das Menschen von Grund auf gut sind – bis die Umstände sie zu Bestien werden lassen. Die Grundfrage im Roman ist die: kann man sich in einer unmenschlich grausamen und hoffnungslosen Welt, in der es ums nackte Überleben geht, seine Menschlichkeit bewahren?

Der Roman ist düster und grau. Man kann die Asche geradezu schmecken, die permanent in der Luft liegt. Die Sonne und sonstige Lichtblicke kriegt der Leser nur selten zu Gesicht – manchmal, wenn Vater und Sohn kurz vor dem Verhungern unverhofft auf Nahrung stoßen, oder wenn sie jemanden treffen, der sich auch einen Hauch Menschlichkeit bewahrt zu haben scheint – oder eben in der Beziehung zwischen Vater und Sohn.

Cormac McCarthy bedient sich bewusst einer schlichten Sprache. Kurze, einfache Sätze – und gerade dadurch ist die Stimmung sehr ausdrucks- und eindrucksvoll. Die auf das Wesentliche beschränkten Dialoge unterstützen die bedrückende Stimmung. McCarthy verwendet für seinen Roman keine direkte Rede, keine Anführungszeichen. Vielleicht ist der Schreibstil nicht jedermanns Sache, vielleicht auch nicht die düstere Endzeitstimmung. Alle, die es wagen wollen und sich auf diese atmosphärisch dichte Stimmung einlassen, werden belohnt. Ich konnte den Roman nicht mehr aus der Hand legen und habe ihn an einem Tag gelesen.

„Glaubenslose, leere Hülsen von Menschen, die die Landstraßen entlangwankten wie Migranten in einem Fieberland. Die Hinfälligkeit von allem und jedem endlich zutage getreten. Alte, quälende Streitfragen in Nichts und Nacht aufgelöst. Mit dem letzten Exemplar von etwas geht die ganze Gattung zugrunde. Macht das Licht aus und ist weg. Man brauchte sich nur umzuschauen. Nie mehr ist eine lange Zeit. Aber der Junge wusste, was er wusste. Dass nie mehr im Handumdrehen passiert war.“

Wer ab und zu mal Fernsehen schaut statt zu lesen : Die Atmosphäre des Buches erinnerte mich sehr an „The Walking Dead“, nur ohne Zombies . Was passiert mit der Menschheit, wenn die Regeln des Zusammenlebens außer Kraft gesetzt werden? Wenn es keine Hoffnung gibt? Wenn Willkür und Instinkte herrschen und fast jeder nur noch an sein eigenes Überleben denkt? „Die Straße“ ist ein Roman, der die Gegensätze der menschlichen Existenz hervorkehrt: Hoffnung und Verzweiflung, Güte und Grausamkeit, Mitgefühl und Gleichgültigkeit, Selbstlosigkeit und Eigennutz, Liebe und Hass – Leben und Tod.

Es ist aber vor allem eine Geschichte über die bedingungslose Liebe zwischen Vater und Sohn, eine Liebe die über alles geht – und die in all der Hoffnungslosigkeit doch einen Funken Hoffnung gibt.

„Keine Listen von Dingen, die zu erledigen waren. Der Tag nicht über sich selbst hinausweisend. Die Stunde. Es gibt kein Später. Das ist das Später. Alles Anmutige und Schöne, das einem am Herzen liegt, hat einen gemeinsamen Ursprung im Schmerz. Wird aus Trauer und Asche geboren. So, flüsterte er dem schlafenden Jungen zu. Ich habe dich.“

Der erste Satz

„Wenn er im Dunkel und in der Kälte der Nacht im Wald erwachte, streckte er den Arm aus, um das Kind zu berühren, das neben ihm schlief.

Buchinformationen

Die Straße von Cormac McCarthy, Taschenbuchausgabe, 12. Auflage, Juli 2018, bei rororo (Rowohlt Taschenbuch). 252 Seiten, 12,00 Euro. Aus dem Englischen übersetzt von Nikolaus Stingl. Deutsche Originalausgabe erschienen Juni 2008. Originaltitel: The Road erschienen bei Alfred A. Knopf, New York, 2006.

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Über den Autor

Cormac McCarthy wurde 1933 in Rhode Island geboren und wuchs in Knoxville, Tennessee auf. Für sein literarisches Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Pulitzerpreis und dem National Book Award. Die amerikanische Kritik feierte seinen Roman «Die Straße» als «das dem Alten Testament am nächsten kommende Buch der Literaturgeschichte» (Publishers Weekly). Das Buch gelangte auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste und verkaufte sich weltweit mehr als eine Million Mal. Mehrere von McCarthys Büchern wurden bereits aufsehenerregend verfilmt, «Kein Land für alte Männer» von den Coen-Brüdern, «Der Anwalt» von Ridley Scott und «Ein Kind Gottes» von James Franco.“


Genre: Belletristik, Endzeitroman, Gegenwartsliteratur, Roman
Subjects: Angst, Apokalypse, Familie, Gesellschaft, Hoffnung, Kinder, Liebe, Tod, Trauer, Überleben, Verzweiflung, Weltuntergang

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