„Besser“ – die geheimen Gedanken einer frustrierten Mutter

Es wird alles gut sein, alles wird gut aussehen, perfekt, vorschriftsmäßig, nichts verrät mich.“

Wien. Antonia Pollak hat eigentlich alles, was man sich von einem schönen Leben erträumt. Einen Mann, der sie auf Händen trägt, zwei gesunde Kinder, genügend Wohlstand und einen interessanten, kultivierten Freundeskreis. Doch hinter ihrer Fassade bröckelt es. Und ihr Inneres brodelt. Toni Pollak hat Geheimnisse, denn sie ist nicht in dieser schönen, ach so perfekten Welt aufgewachsen und tief in ihrem Innern hat sie das Gefühl, nicht hierher zu gehören, so gar nicht in dieses schöne Leben zu passen – und vielleicht auch gar nicht passen zu wollen. Immer wieder lodern ihre dunklen Seiten auf – von denen ihr Mann keine Ahnung hat. Trotz aller äußeren Perfektion spürt Antonia tief in ihrem Innern diese nagende Unzufriedenheit und eine Angst, alles auf’s Spiel zu setzen, alles zu verlieren. Und tatsächlich, während ihr Alltag weiterläuft, scheint Antonia eines Tages von der Vergangenheit eingeholt zu werden.

Die Handlung dieses Romans von Doris Knecht besteht überwiegend aus Alltagsbeobachtungen der Ich-Erzählerin Antonia, die sich selbst, ihren Mann und ihre Ehe, ihre Rolle als Mutter und ihren Freundeskreis wohlhabender Wiener Stadtmenschen schonungslos hinterfragt. Aus diesen Beobachtungen heraus entwickelte sich für mich auch die Spannung des Buches. Als Leser wird man hineingezogen in die tragi-komische und zynische Atmosphäre dieses Romans und seiner ambivalenten Charaktere. Der Blick der Protagonistin auf die dunklen Seiten – hier teilweise sehr dunklen Seiten – von Ehe und Mutterschaft und auf die Gesellschaft mit all ihren Oberflächlichkeiten macht das Buch für mich so besonders.

„Es geht die meiste Zeit gut, und dann steht man auf der Straße, redet auf einen brüllenden Jungen ein und die Wut steigt in einem auf und man denkt: Während ich dieses Leben lebe, verpasse ich ein anderes. […] Ich packe ihn sehr fest, zu fest. Diese kindliche Unnachgiebigkeit… Ich habe immer verstanden, warum es vorkommt, dass Eltern ihre schreienden Säuglinge zu Gemüse schütteln. Ich glaube, alle Eltern verstehen es, sie reden nur nicht darüber. Kinder graben etwas aus einem heraus, von dem man nicht wusste, dass es da ist, dass man es hat, aber fast alle, auch wenn sie die superentspannten Mich-bringt-nichts-aus-der-Ruhe-Eltern geben, haben es in sich: die Wut, den einen Schlag, der für Ruhe sorgen wird. […] Das geht nicht. Wenn man Kinder hat, geht das nicht. Wenn man Kinder hat, muss man ihnen angehören, auch ihren Launen und Charakterschwächen. Man muss die Verbindung spüren, immer, man darf es nicht zulassen, dass man sie nicht spürt. Man muss sich um sie kümmern, um sie kümmern wollen, auch wenn man sie gerade schrecklich findet. […] Später wird es mir leid tun, schlechtes Gewissen wird mich überrollen wie ein Gewitter eine Sommerlandschaft […] Ich werde ihn drücken und ihn liebhaben wie nichts und niemanden sonst auf der Welt, aber jetzt nicht, jetzt gerade nicht.“

Für mich war es das erste Buch von Doris Knecht und ich mochte den Schreibstil der Autorin. Gnadenlos schaut sie hinter die Fassaden vermeintlicher Paradeleben und porträtiert heutige Lebensentwürfe mit viel schwarzem Humor und bissigem Realismus. Ich fand die knallharte Ehrlichkeit, mit der sie die Gefühle und Gedanken ihrer Protagonistin darstellt, sehr erfrischend und gleichermaßen schockierend. Ganz sicher ist der Schreibstil daher nicht jedermanns Sache, in dem es auch nicht an Kraftausdrücken mangelt. Ich empfehle, vor dem Kauf mal in die Leseprobe des Verlags rein zu schauen, beispielsweise auf Seite 20, wo sich Antonia über die Freundin des besten Freundes ihres Mannes auslässt.

Doris Knecht schreibt über das Leben mit all seinen unausgesprochenen Wünschen und Geheimnissen und schreckt nicht davor zurück, diese dem Leser auch schockierend deutlich vor Augen zu führen. Und so wundert es nicht – ich verrate hier wohl nicht zuviel, da man diese Tatsache gleich am Anfang des Romans erfährt – dass Antonia sich in ihrer Unzufriedenheit in eine Affaire stürzt – und sich zwischendurch in Gedanken an den anderen Mann verliert und an das Leben, das vielleicht auf sie warten und ihr Gelegenheit geben könnte, aus ihrem jetzigen Leben auszubrechen.

„…aber meistens verscheuche ich den Gedanken wieder, schiebe meine schlafenden Kinder vor ihn, ihre Unschuld, ihre Unversehrtheit, ihr Glück, meinen grunzenden Adam, mein eigenes Glück, das ich mir mit Wünschen und Träumen und Geheimnissen vergifte, die es zerstören können und mich mit ihm, und ich jage den dummen, gefährlichen Gedanken fort.“

Wer ein Buch mit spannungsgeladenen Cliffhangern sucht, wird sicherlich enttäuscht werden. Wer aber an einem tieferen Einblick in die Psyche einer unzufriedenen Mutter und ihre vielen kleinen und großen Abgründe interessiert ist, der wird sicher seine Freude an diesem Roman haben.

Der Autorin ist in meinen Augen ein intelligenter, ehrlicher und trotz der Tragik auch witziger Roman gelungen, der sich toll lesen lässt. Kapitel zweiunddreißig ist übrigens gänzlich dem ersten Kuss gewidmet – und diese vier Seiten fand ich so denkwürdig, dass ich jede Seite markiert habe. Aber lest doch selbst !

Der erste Absatz

„Ich werde nicht kommen heute, ich weiß es jetzt schon. Zu nervös. Zu nüchtern. Zu viele Sachen im Kopf. Und die Narbe an seinem Hals zu deutlich vor meinen Augen, viel deutlicher als sonst.

Buchinformationen

Beser von Doris Knecht, Taschenbuchausgabe, erschienen im August 2014 bei rororo aus dem Hause Rowohlt. 288 Seiten, 9,99 Euro. Deutsche Erstausgabe erschienen 2018. Im Hardcover erschienen im März 2013 bei Rowohlt Berlin.

Buy Local! Hier online beim Buchhändler meines Vertrauens bestellen

Über die Autorin

Doris Knecht, geboren in Vorarlberg, ist Kolumnistin («Kurier», «Falter») und Schriftstellerin. Ihr erster Roman, «Gruber geht» (2011), war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde fürs Kino verfilmt. Für «Besser» (2013) erhielt sie den Buchpreis der Stiftung Ravensburger Verlag. Zuletzt erschien ihr vielgelobter Roman «Wald» (2015). Doris Knecht lebt in Wien und im Waldviertel.“


Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur, Gesellschaftsroman, Roman
Subjects: Betrug, Ehe, Familie, Gesellschaft, Glück, Kinder, Kindheit, Leben, Lebenswege, Liebe, Mutterschaft, Österreich, Schicksal, Selbstverwirklichung, Wien

Ich freue mich über eure Kommentare, Fragen, Meinungen, Anregungen und und und :-) ...