Wir schreiben das Jahr 2008. In den USA macht Barack Obama Walhlkampf für die Demokraten, die Finanzmärkte kollabieren und in Sri Lanka tobt seit Jahrzehnten ein Bürgerkrieg, den kaum jemanden zu interessieren scheint. Maravan, ein junger tamilischer Asylbewerber, schlägt sich in diesen Zeiten als Hilfskraft in einem Schweizer Sternerestaurant durch – weit unter seinem Niveau. Denn Maravan ist ein Virtuose in der Küche. Damals – Zuhause in Sri Lanka – hat ihn seine geliebte Großtante Nangay in die Kunst des Kochens eingewiesen – und in die Geheimnisse der aphrodisischen Küche. Als sich Maravan in seine Kollegin Andrea verliebt, testet er die Wirkung der uralten Rezepte – mit Erfolg.
„Andrea fühlte sich satt und zufrieden. Und dennoch nagte da noch immer ein kleiner Hunger. Erst jetzt wurde ihr klar, wonach. Sie ging auf ihn zu, nahm seinen Kopf zwischen beide Hände und küsste ihn auf den Mund.“
Für dieses Abenteuer hat Maravan viel riskiert und teure Küchengeräte aus dem Restaurant ausgeliehen. Als er gefeuert wird, schlägt Andrea ihm ein waghalsiges Geschäft vor: ein gemeinsames Cateringunternehmen für erotische Menüs. Jodoch hat Maravan keine Arbeitserlaubnis, die über einfache Hilfstätigkeiten hinausgeht. Doch wie soll er ohne Job seine Familie in Sri Lanka unterstützen, die dringend auf Geld und Medikamente aus der Ersten Welt angewiesen ist? Und wie soll Andrea Erfüllung im Berufsleben finden, wenn sie sich immer nur als Kellnerin von Job zu Job hangelt? Den Risiken zum Trotz wagen die Beiden gemeinsam dieses Abenteuer. Schnell spricht sich die Wirksamkeit der exotischen Speisen herum – und Love Food zieht zahlungskräftige Kunden aus Politik und Wirtschaft an. Die beiden Jungunternehmer geraten unfreiwillig in den Sog einer Welt, die von Korruption und Geldgier geprägt ist – und in der berufliche und private Interessen kaum mehr miteinander vereinbar scheinen.
„Schon früh war Maravan fasziniert von den Vorgängen, die ein paar krude Rohprodukte in etwas ganz anderes verwandelten. Etwas, das man nicht nur essen konnte, das einen nicht nur sättigte und ernährte, sondern das sogar – glücklich machte.“
Und wieder freue ich mich über einen Pageturner. Martin Suter versteht es, seinen Lesern das Wasser im Munde zusammen laufen zu lassen. Mit „Der Koch“ ist ihm ein schlanker und kluger Roman gelungen, der es in sich hat. Und das nicht nur kulinarisch. Die Sinnlichkeit des Kochens dringt aus jeder Seite und Suter verwebt sie gekonnt mit der Geschichte Sri Lankas sowie der damaligen politischen und wirtschaftlichen Gegenwart.
„Sofort stieg von dem kleinen Fladen ein so fremdartiger und doch vertrauter Duft auf, dass sie ihren Plan aufgab, einen frühen Abgang anzukündigen. „Was ist das?“
„Curryblätter und Zimt in Koksöl. So duftete meine Jugend.“
„Und wie hast du das eingefangen?“
„Kochgeheimnis.“ Auf alle Chapatis träufelte Maravan ein paar Tropfen der Essenz. Dann setzte er sich Andrea gegenüber.
„Du musst eine schöne Jugend gehabt haben, dass du dich gerne an ihren Duft erinnerst.“
Maravan ließ sich Zeit mit der Antwort. Als müsste er erst noch entscheiden, ob seine Jugend schön war. „Nein“, meinte er schließlich. Aber das wenige, das schön war, roch so.“
Der Roman geht zwar nicht in die Tiefe, macht aber neugierig auf die die Schönheit und besonders auf die Geschichte des Inselstaates Sri Lanka, in dem zwischen 1983 und 2009 ein offener Bürgerkrieg zwischen tamilischen Separatisten, den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), und der von Singhalesen dominierten Zentralregierung tobte, der Schätzungen zufolge bis zu 100.000 Todesopfer forderte. Durch Maravan und seine tamilische Gemeinde erfahren die Leser etwas von den Hintergründen und den Schrecken dieses Bürgerkrieges – und dass Gut und Böse hierbei nicht eindeutig voneinander zu unterscheiden waren. Denn sowohl auf Seiten der Regierungstruppen als auch auf Seiten der Rebellen wurden furchtbare Verbrechen verübt. Und auch die Erste Welt kann sich von Schuld nicht freisprechen.
„Es ist ein Dritte-Welt-Krieg“, sagte Makeda. „Ich wurde auch von einem Drittweltkrieg vertrieben, der totgeschwiegen wurde. Dritte-Welt-Kriege sind nun mal kein Thema für die Erste Welt.“ „Aber ein Geschäft schon. {…} Man verkauft seine schrottreifen Panzer auf Umwegen nach Sri Lanka. Aber den Leuten, die vor diesem Krieg hierherflüchten, glaubt man nicht, dass sie in Gefahr sind.“
Ich hatte nach dem Lesen des Klappentextes mehr Erotik und leichtere Kost erwartet, aber das war gar nicht Suters Intention. Der Koch ist ein tolles Buch, das auf leichte Art nachdenklich stimmt und auf jeden Fall Appetit auf mehr macht. Und das Beste kommt zum Schluss: denn Maravans Love Menü findet sich als Anhang im Buch, so dass man sein Talent in der Küche gleich selbst ausprobieren und die aphrodisierende Wirkung der Rezepte testen kann .
Der erste Satz
„Maravan! Siphon!“
Buchinformationen
Der Koch von Martin Suter, Hard Cover, erschienen 2010 im Diogenes Verlag, 320 Seiten, 21,90 Euro. Taschenbuchausgabe: 12,00 Euro.
Buy Local! Hier online beim Buchhändler meines Vertrauens bestellen
Über den Autor
„Martin Suter, geboren 1948 in Zürich, arbeitete bis 1991 als Werbetexter und Creative Director, bis er sich ausschließlich fürs Schreiben entschied. Seine Romane – zuletzt erschien ›Montecristo‹ – und ›Business Class‹-Geschichten sowie seine ›Allmen‹- Krimiserie sind auch international große Erfolge. Martin Suter lebt mit seiner Familie in Zürich.“
Subjects: Asyl, Erotik, Essen, Finanzkrise, Flucht, Freundschaft, Gesellschaft, Glaube, Kochen, Krieg, Leidenschaft, Liebe, Politik, Schweiz, Selbstverwirklichung, Sri Lanka, Verlust, Wirtschaft, Zürich