„Wenn man die Zeit als Ganzes begreifen könnte, würde man sehen, dass die Vergangenheit bestehen bleibt und nicht im Rückspiegel verschwindet.“
In einem Vorort von New York. Drei Jugendliche, eine schicksalhafte Nacht, und ein Geheimnis, das ihr Leben für immer verändert. Im Sommer 1985 endet eine einfache Autofahrt in einer Tragödie und einem Geheimnis, das die Familie Wilf über Jahrzehnte hinweg verfolgen wird. Ihr Schweigen hat die Vergangenheit nicht ausgelöscht, sondern im Gegenteil tiefe Spuren hinterlassen. Als sich viele Jahre später die Ereignisse wieder ins Bewusstsein drängen und der zehnjährige, ganz besondere Junge Waldo in ihr Leben tritt, müssen sich nicht nur die Geschwister Sarah und Theo, sondern auch ihre Eltern Ben und Mimi den unbewältigten Gefühlen und Entscheidungen stellen, die alles verändert haben.
Leuchtfeuer ist eine tiefgreifende Geschichte über Schuld und Sühne – und wie Geheimnisse und Schweigen das Leben prägen können.
Die Erzählstruktur des Romans ist nicht chronologisch, sondern springt zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her. Diese non-lineare Erzählweise schafft eine Art kaleidoskopisches Bild des Lebens der drei Hauptfiguren – Theo, Sarah und ihrem Vater Ben. Alle drei tragen schwer an ihrer Rolle in jener schicksalhaften Nacht, ohne jedoch jemals darüber zu sprechen, und ihre Spuren führen immer wieder zu Fehlentscheidungen in ihrem Leben.
Interessant ist, dass ein zweiter Erzählstrang in die Geschichte verwoben wird: Die Geschichte von Waldo, einem Jungen mit – so meine Vermutung; es wird nie klar benannt – Asberger Syndrom, dessen Geschichte mit feinen Fäden in die von Familie Wilf verwoben ist. Waldo ist so ganz anders als andere Kinder – und seine Familie droht daran zu zerbrechen. Nur der alte Ben Wilf scheint Zugang zum jungen Waldo zu finden und mit ihrer ungewöhnlichen Freundschaft beschwören die beiden die Vergangenheit herauf. Die Verknüpfung der beiden Familien und ihrer Schicksale fügt der Geschichte zusätzliche Dimensionen hinzu und wirft Fragen auf, wie Vergangenheit und Gegenwart untrennbar miteinander verbunden sind.
Das zentrale Thema der Schuld zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Jede Figur trägt ihre Last allein, ohne je wirklich miteinander zu sprechen.
„Seine Familie ist unmerklich Stück für Stück aus den Fugen geraten. {…} Jetzt sind sie voneinander getrennt. In ihren einzelnen, kaputten Universen.“
Es gibt viele Sätze, die im Gedächtnis bleiben und dem Buch Tiefe geben, auch wenn es stellenweise für mich noch etwas unvollständig wirkt. So bleiben manche Protagonisten für mich blass (z.B. Mutter Mimi) und Waldos Konflikt mit seinem Vater wurde für mich greifbarer als die inneren Konflikte rund um den Unfall.
Der Roman ist weniger von einer klassischen Handlung getragen, sondern lebt mehr von den inneren Gefühlswelten der Figuren.
Das mystische Ende, von dem hier nicht zuviel verraten werden soll, wird vielleicht nicht jedermanns Geschmack treffen. Dennoch hinterlässt das Buch einen starken Eindruck und wirft Fragen auf, die nachklingen.
„Es ist ein dorniger Ort, zu dem seine Gedanken wandern, wenn sie sich selbst überlassen sind. Die Erklärung, die ihm am ehesten einleuchtet, lautet, dass sie gemeinsam panische Angst davor hatten, ihre Worte würden, wenn sie über die Geschehnisse jener Nacht sprächen, eine vollständige Geschichte ergeben, die schrecklicher wäre als die Bruchstücke, die sie einzeln mit sich trugen.“
Der erste Satz
„Und eigentlich ist es ein Klacks oder müsste ein Klacks sein oder sollte ein Klacks sein, als er den Kopf vorbeugt und die Spitze seiner Zigarette in den Zigarettenanzünder drückt.“
Buchinformationen
Leuchtfeuer von Dani Shapiro, 2024, 288 Seiten, erschienen im Verlag hanserblau, Hardcover 23 Euro. Originalausgabe Signal Fires erschienen bei Random House N.Y.
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Über die Autorin
„Dani Shapiro ist Autorin, Dozentin und Host des erfolgreichen Podcasts “Family Secrets”. Leuchtfeuer wurde mehrfach ausgezeichnet und war ein großer Bestseller in den USA. Dani Shapiro lebt mit ihrer Familie in Connecticut und entwickelt derzeit Leuchtfeuer zur Fernsehserie.“
Subjects: Affäre, Alzheimer, Angst, Autismus, Ehe, Einsamkeit, Familie, Freundschaft, Geschwister, Glück, Kinder, Krankheit, Lebenswege, New York, Schuld, Selbstverwirklichung, Tod, Trauer, USA, Verlust