„Ist es möglich, dauerhaftes Glück in uns zu verankern? Können wir inneres Wohlbefinden erlangen, das nicht von äußeren Umständen abhängt? Gibt es wahres Glück das nur uns alleine gehört?“
Der faszinierende, aber für mich nicht durchweg überzeugende, Lebensweg eines Millionärs, der all seinen Reichtum verschenkte und den Sinn des Lebens suchte.
Der deutsche Ingenieur Hermann Ricker geht mit 23 Jahren nach Singapur und steigt dort zum Spitzenmanager auf. Die Mentalität der Menschen und die östliche Lebensweise faszinieren und begeistern ihn – und er lernt, sie nutzbringend im Unternehmen einzusetzen. Schon bald profitiert er vom Auftrieb der boomenden Wirtschaft und gründet sein eigenes Unternehmen. Er expandiert und erzielt Jahresumsätze in Millionenhöhe. Der Autor schreibt, schon damals sei es ihm wichtig gewesen, alles im Fluss zu halten, so dass Kunden und Lieferanten ihre Abschlüsse mit gutem Gefühl tätigten. Er meditiert und übt sich in Achtsamkeit, besucht Klöster und verinnerlicht die buddhistische Lebensweise zunehmend. Das Geld sei nachrangig gewesen. Und dennoch verdient er Millionen, besitzt Penthäuser, eine Yacht und teure Autos. Als er eines Nachts in seinem Jaguar verunglückt und nur knapp dem Tod entgeht, ändert sich sein Leben von Grundauf. Hermann Ricker beginnt, den Sinn des Lebens und seinen materiellen Reichtum zu hinterfragen. Wozu all der Reichtum, all der Besitz – wo wir doch bei unserem Tode ohnehin nichts mitnehmen können?
„Wenn wir festhalten an dem, was wir besitzen oder zu sein glauben, machen wir uns selbst zu einem Sklaven, der unaufhörlich damit beschäftigt ist, den Strom der Vergänglichkeit aufzuhalten. Wir werden zu einem Damm, der vergeblich versucht, das Wasser zu stauen, anstatt uns fröhlich und glücklich von der Strömung des Flusses tragen zu lassen. Wer aber loslässt, der hat zwei Hände frei. Loslassen macht uns frei und unabhängig. Es erlaubt uns, unsere Kraft nicht mit dem Festhalten von oder an Dingen zu vergeuden, die wir ohnehin nicht bewahren können. Stattdessen können wir sie dazu nutzen, um uns so tief wie möglich in den Fluss zu begeben.“
Er entschließt sich dazu, all seinen Besitz wegzugeben, überschreibt seine Firma seinen engsten Mitarbeitern, verschenkt sein Vermögen und seine Immobilien. Drei Gewänder, ein Paar Slipper, ein Schirm, ein Moskitozelt, Instantnudeln und Waschzeug – sein einziger verbliebener Reichtum. Aus Hermann Ricker wird der Bettelmönch Ophaso („Hell erleuchtet mit innerem Wissen“). Zwei Jahre lang lebt er allein auf Don Savan, einer Insel im Nordosten Thailands und anschließend acht Jahre lang in einem Waldtempel, meditiert – manchmal 15 Stunden am Tag – und lebt von dem, was ihm bei seinen Ausflügen aufs Festland in die Bettelschale gefüllt wird. Dabei ist er überrascht, wie selbstverständlich die Thailänder zum Geben bereit sind. Ja, das sie es sogar selbst als Geschenk ansehen, Anderen etwas geben zu dürfen.
„Ich staune, über welches Potenzial wir Menschen verfügen, wenn das Miteinander im Zentrum unseres Handelns steht“.
Wer loslässt hat zwei Hände frei. Nach diesem Prinzip ist auch das 10-jährige Mönchs-Dasein nur eine Etappe auf dem Weg des Hermann Ricker. Er möchte sein Wissen weitergeben und nach Europa tragen – unvereinbar mit dem Leben eines buddhistischen Mönches. Er lässt seine Mönchskutte los – und aus dem Mönch Ophaso wird Master Han Shan („großer Berg“). Durch eine zufällige Fügung erhält er ungenutztes Land, das er in ein Retreat Center verwandelt. In Nava Disa („Fenster zum Himmel“) möchte er Menschen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, nach sich selbst und nach Entschleunigung unterstützen. Auch heute noch ist er für das Zentrum tätig – und trägt in Vorträgen seine gewonnene Weisheit nach Europa.
Master Han Shan lässt mich mit seinem ersten Buch (inzwischen hat er weitere zum Thema Achtsamkeit und Loslassen geschrieben) zwiegespalten zurück. Einerseits ist sein Lebensweg zweifellos beeindruckend und das Buch regt dazu an, über das eigene Leben, die eigenen Werte nachzudenken und sich zu fragen, ob man nicht viel zu viel Ballast mit sich herumträgt. Leben wir nicht tatsächlich viel zu wenig im Augenblick? Unsere Gedanken verweilen ständig in der Vergangenheit und schweifen in die unsichere Zukunft – und dadurch verpassen wir eigentlich ständig die Gegenwart – das Leben.
„Das Wissen um das Nichtwissen anzuwenden, damit richtig umzugehen, ja, sein Leben danach auszurichten, ist die hohe Kunst der Lebensführung.“
Seit Kurzem interessiere ich mich sehr für Buddhismus und Meditation. Ich bin Laie, was die buddhistische Lehre und den Buddhismus in Asien angeht. Doch ich stelle mir schon die Frage, wie es Hermann Ricker gelingen konnte, die übliche langjährige formale Mönchsausbildung auszulassen und quasi pro forma und über Nacht von einem Abt zum Mönch ernannt zu werden, zu dessen Kloster er ansonsten kaum einen Bezug hat.
Zum anderen kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Master Han Shan irgendwie eher selbst beweihräuchert – auch wenn er gerade das Gegenteil behauptet. Während es im ersten Teil des Buches darum geht, wie gut und beliebt er als Manager war, setzt sich die zweite Buchhälfte in gleichem Stil beim Mönchs-Dasein fort. Meiner Ansicht nach geht es in all seinen Lebenslagen um seinen Erfolg, um seine Beliebtheit, um seine Weisheit. Er spricht von Energiefeldern, von Meditation, von Singapur, Thailand und dem Buddhismus – aber verbleibt dabei meines Erachtens zu sehr in Allgemeinplätzen. Irgendwie dringt das Geschriebene nicht gänzlich zu mir durch und war mir zu wenig konkret.
Ich stelle mir auch die Frage, wie Master Han Shan zu seinem jetzigen Titel gekommen ist? Hat er sich diesen selbst verliehen statt – wie normalerweise üblich – nach langer Schulung von einem Meister? Das Ablegen der Mönchskutte nach zehn Jahren ist Master Han Shan nur eine halbe Seite wert. Daher kann hier nur spekuliert werden.
Ich habe letztlich nicht den Eindruck, dass dies ein wirklich spirituelles Buch ist, das einen nah an die Lehren Buddhas bringt – sondern vielmehr das weitere Erfolgszeugnis eines relativ ich-bezogenen Managers. Denn letztlich ist er das doch nach wie vor. Das Nava-Disa-Resort klingt für mich nach einem wachsenden Unternehmen, das auf rund 200.000 Quadratmetern und in komfortablen Bungalows innere Weisheit und Frieden zu Hotelpreisen verspricht. Generell ist da ja nichts gegen einzuwenden. Aber irgendwie will das Bild, das Hermann Ricker von sich vermitteln möchte und das, das in meinem Kopf von ihm entsteht, nicht so recht zusammen passen.
Vielleicht tue ich Master Han Shan aber auch Unrecht. Immerhin positiv zu erwähnen ist, dass das Retreat Center nach eigenen Angaben auch der sozialen Unterstützung für die einheimische Bevölkerung dient. Mit den Beiträgen werden umliegende Tempel, Schulen, förderungswürdige Studenten und bedürftige Familien unterstützt und Einheimische zu überdurchschnittlichen Löhnen beschäftigt.
Es handelt sich bei diesem Buch für mich eher um einen interessanten Lebensbericht mit einigen wenigen tieferen Einblicken. Ich bereue nicht das Buch gelesen zu haben, bin aber dennoch nicht vollends von Master Han Shans Weisheit überzeugt. 3 Sterne.
Mehr Informationen zu Master Han Shan und dem Retreat Center gibt’s unter www.navadisa.com.
Buchinformationen
Wer loslässt, hat zwei Hände frei. Mein Weg vom Manager zum Mönch. Von Master Han Shan, Luebbe Verlag, erschienen im November 2009, 200 Seiten. 8,99 Euro.
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Blick ins Buch
„Dauerhaftes Glück können wir nur in uns selbst finden und verankern. Wenn wir das wahre Glück in uns selbst realisiert haben, dann haben wir es bei uns, wo immer wir auch sind und was immer wir auch tun. Unser Wohlbefinden ist nicht mehr abhängig von äußeren Umständen und Begebenheiten. Wir sind wahrhaftig frei“.
„Wie oft halten wir an schwierigen Lebenssituationen fest, weil wir Angst haben vor dem Ungewissen, vor dem Nicht-Wissen, was danach kommt“.
„Wenn wir uns etwas nicht vorstellen können, heißt es noch lange nicht, dass es nicht möglich oder existent ist. Alles, was es heißt, ist, dass unser limitierter menschlicher Verstand nicht in der Lage ist, es sich vorzustellen“.
„Nur wenn zwei Partner sich gegenseitig den Freiraum zugestehen, sich zu finden, und dem jeweils anderen ihre förderlichen Energien zur Verfügung stellen, kann eine Beziehung Bestand haben und Liebe sich entfalten“.
„Schon früh war mir klar geworden, dass Mitleid keinem wirklich helfen kann. Helfen kann man nur, wenn man selbst stark genug ist, um das Mitgefühl auch zur Hilfe bei anderen anzuwenden. Wer mit-leidet, begibt sich in die Energie des Leidens und kann im Grunde nur das Leid weiterverbreiten“.
„Medizin, Operationen und Therapien können eine Krankheit vielleicht ausradieren. Doch wahre Heilung geht zu dem Ursprung der Krankheit zurück und ist damit ein energetischer Prozess, der in uns selbst beginnt“.
„Die Perle des Glücks, nach der wir alle suchen, liegt in jedem Einzelnen von uns verborgen – auch wenn wir es nicht wissen. Wir haben sie immer bei uns. Wir müssen es nur bei uns selbst zulassen, dass ihr wahrer Glanz zum Vorschein kommt“.
Subjects: Achtsamkeit, Buddhismus, Glaube, Leben, Leben im Jetzt, Lebenswege, Meditation, Religion