Männer und Romane

Männer und Romane

Neulich war ich mit meinem Mann im Buchladen. Wir hatten kinderfrei und einen entspannten Tag  in der Sauna vor uns. Ich hatte meine drei Bücher für den Tag schon längst gepackt , als meinem Mann auffiel, dass er eigentlich – außer einer Wirtschaftszeitschrift und einem theorielastigen, anstrengenden Fachbuch nichts zu lesen hatte. Also machten wir uns auf den Weg zu meinem Lieblingsbuchladen, um für ausreichend Lektüre zu sorgen. Das Problem dabei ist Folgendes: mein Mann liest einfach keine Literatur, die über Wirtschafts- und Fachbücher hinausgeht. Und so sind wir leider auch nicht wirklich fündig geworden. Daraufhin versuchte ich als jemand, der sich eine Welt ohne Bücher nicht vorstellen kann, ihn dazu zu bringen, sich einen Roman zu kaufen. Leider keine Chance. Ich zitiere: „Wenn ich etwas lese, möchte ich etwas lesen, bei dem ich auch etwas lernen kann.“ Bücher, die auf der Phantasie eines Autors beruhen, gehören für meinen Mann nicht in diese Kategorie. Einen ähnlichen Kommentar hatte ich auch eine Weile zuvor schon von meinem Vater vernommen. BITTE?! Auch wenn mir vorher schon bewusst war, dass die Beiden nicht zu den klassischen Romanlesern gehören, hat mich diese generelle verbale Abwertung einer Literaturgattung, die immerhin rund ein Drittel der jährlichen Neuerscheinungen ausmacht, doch etwas schockiert…

Klar gibt’s auch Bücher, die meinen Ansprüchen an gute Literatur nicht standhalten, aber kann man von einem Autor wie Jonathan Franzen etwa nichts lernen? „Die Korrekturen“ war nämlich eines der Bücher in meiner Saunatasche und ich hatte gar nicht genug Post-its in der Tasche, um all die Stellen zu markieren, die ich für meisterhaft hielt. Und kann man von den Vorbildern vergangener Zeiten nichts lernen, wie den Brontë Schwestern oder Jane Austen, von Mary McCarthy, Isabel Allende oder aus dem Schicksal von Sylvia Plath? Was ist mit Klassikern wie Krieg und Frieden, Der Zauberberg oder Der alte Mann und das Meer? Ich habe selbst von geschichtsträchtiger Unterhaltungsliteratur jede Menge lernen können wie den historischen Kingsbridge-Romanen von Ken Follett, die das Mittelalter für mich lebendig werden ließen oder seiner Jahrhundert Trilogie, die mir eine Vielzahl geschichtlicher Fakten und Zusammenhänge – vom ersten Weltkrieg, über die Herrschaft der Nazis bis hin zum Fall der Berliner Mauer – nähergebracht haben. Zusammenhänge, die mir scheinbar in meinem Geschichtsbuch entgangen waren. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass man durch jegliches Lesen etwas dazu lernen kann und ich lese auch gerne mal leichtere Lektüre wenn mir danach ist.

Und überhaupt, muss denn wirklich alles, was man tut immer darauf ausgerichtet sein, sich selbst zu optimieren? Besser, schlauer, gesünder, fitter zu werden? Denn spinne ich die Theorie mit dem fehlenden Lerneffekt weiter, frage ich mich, warum mein Mann Filme und Serien guckt, die in den meisten Fällen wohl so einiges weniger mit der Realität zu tun haben als sämtliche Bücher die ich lese. Genauso wie ich fernsehe, um mich unterhalten zu lassen, genauso wie ich esse, um zu genießen, genauso lese ich manchmal – kaum zu glauben – tatsächlich ebenfalls zum Vergnügen, um abzutauchen, ganz einfach weil es mir Freude bereitet.

Es gibt Bücher, die mich unterhalten. Und es gibt Bücher, die mich zum lachen bringen oder zum weinen, die mich zweifeln lassen, die Hoffnung geben, die mir fremde Welten und Kulturen zeigen und meinen Horizont erweitern. Es gibt Bücher, die mir Geschichte näher bringen, die mich mit den Abgründen der Menschheit bekannt machen und mit ihren Höhen. Und es gibt Bücher, die mich im besten Fall dazu bringen, mich mit meinem Leben, meinen Sichtweisen, meinen Gefühlen auseinander zu setzen oder mich für ein neues Thema zu interessieren – und nach dem letzten Satz noch weitere Fakten zu Personen, geschichtlichen Ereignissen, Religionen oder Ländern zu recherchieren. Ich habe selten ein Buch zugeklappt, ohne etwas Neues gelernt zu haben.

„Lesen ist für den Geist das, was Gymnastik für den Körper ist.“ Joseph Addison (1672 – 1719)

Mir fallen – auch abgesehen vom Lerneffekt – auf Anhieb etliche Gründe zu lesen ein und warum das Lesen von Romanen alles andere als Zeitverschwendung ist:

  • Lesen reduziert Stress und trägt ungemein zu meiner Entspannung bei. Es hat für mich ein bisschen was von einer Meditation, mich ganz und gar in ein Buch zu vertiefen und die Welt um mich herum auszublenden.
  • Aber nicht nur das. Studien zufolge fördert Lesen das Empathievermögen – und mein Mann und ich könnten das klassische Beispiel dafür sein. Denn während ich ständig versuche, mich in mein Gegenüber oder die Situation und Lebenslagen anderer Menschen hineinzuversetzen – ok, vielleicht hin und wieder zu sehr – ist das bei meinem Mann, nun ja, sagen wir mal nicht allzu ausgeprägt der Fall.
  • Da ich selbst gerne schreibe – beruflich und privat – verbessere ich durch das Lesen von Büchern und durch das Rezensieren der gelesenen Werke meinen eigenen Schreibstil. Ich liebe es, Bücher zu analysieren: wie ist die Struktur des Romans, wie sind die Dialoge, wie erzeugt der Autor Spannung, wie erzeugt er Gefühle und welche Charaktere werden gezeichnet? Was kann ich alles aus diesem Roman lernen? Und bringt er mich dazu, mich für ein neues Thema zu interessieren?
  • Aber der allerbeste Grund Romane zu lesen ist und bleibt für mich Folgener: Lesen erweitert den eigenen Horizont in jeglicher Hinsicht – und zwar nicht nur die Lektüre von Fachzeitschriften. Denn obwohl ich Wirtschaft studiert habe, möchte ich beim Lesen nicht unbedingt etwas über die Marktmechanismen und die Lage der Weltwirtschaft lernen, sondern etwas über das Leben und Geschichte. Ich möchte Charaktere und Orte kennenlernen, andere Epochen und Kulturen. Nicht ohne Grund habe ich meinen Blog Tausend Leben genannt. Denn beim Lesen erlebe ich mit jedem einzelnen Buch ein anderes Leben, ein anderes Gefühl, eine andere Welt. Ich lerne tausend neue Dinge, selbst wenn das Buch keine Autobiografie, kein Fachbuch, keine geschichtliche Abhandlung ist. Denn wenn man sich die richtigen Autoren aussucht, dann kann man doch davon ausgehen, dass sie sich mit dem Thema, über das sie schreiben, lange und gründlich auseinander gesetzt haben oder in ihren Romanen autobiografische Fakten verarbeiten. Nehmen wir das Beispiel Follett, der für seine penible Recherche bekannt ist und sich für seine Romane tief in die Geschichtsbücher vergräbt. Für seinen neuesten Roman – den dritten Teil der Kingsbridge Serie „Das Fundament der Ewigkeit“ – hat er nach eigenen Angaben 228 Bücher zu Rate gezogen.

Einer Statistik zufolge, die ich mal gelesen habe, greift jede zweite Frau mehrmals pro Woche zum Buch, aber nur 27 Prozent der Männer. Wenn Männer lesen, dann lesen sie – glaubt man dieser Statistik – meist Magazine, Fachbücher, Nachrichten. Aber Romane? Dabei wundere ich mich doch, dass 60 Prozent aller Romane von Männern geschrieben werden. Eine Recherche erbringt die traurige Tatsache, dass lediglich ein Viertel der ins Englische übersetzten Bücher von weiblichen Autorinnen stammen. Und bei den Literaturpreisnominierungen sind die Zahlen noch trauriger. Woher kommt diese Diskrepanz??

In der Bloggerwelt treffe ich glücklicherweise auf zahlreiche männliche Beispiele, die zeigen, dass Romanliteratur keineswegs nur Frauensache ist. Und Männer bringen selbst großartige Literatur hervor. Daher sagt mir bitte: ist das nur in meinem Umfeld der Fall, dass die Männer das Lesen von Romanen im Großen und Ganzen für Zeitverschwendung halten?!

Ich frage euch: was wäre eine Welt ohne die Vielfalt der Literatur?!?

P.S.: Ich konnte es mir nicht verkneifen, hier einen Schnappschuss meines Mannes aus unserem Maledivenurlaub zu veröffentlichen. Damals war er ziemlich verzweifelt, denn nach einer Woche Urlaub hatte er seinen gesamten Vorrat an Fachbüchern bereits hinter sich, wir aber noch eine ganze weitere Urlaubswoche vor uns. Vielleicht habe ich ihn damals – das Foto ist vor etwa 10 Jahren entstanden – für die Romanliteratur verdorben, als ich ihm „P.S. Ich liebe dich“ gab.