„Und wenn wir offen sind für unser Leid, uns nicht darin verlieren, führen solch schmerzvolle Erfahrungen überhaupt erst dazu, dass wir aufwachen und lernen, uns selbst zu erkennen.“
Die Journalistin Doris Iding wacht eines Nachts auf und sieht Millionen von schwarzen und weißen dicken Punkten, die sich schnell und flirrend vor ihrem Gesichtsfeld bewegen. Ihr Gehirn schlägt Alarm – sie erleidet ohne Vorwarnung ihre erste Panikattacke. Eine von vielen, die künftig ihr Leben bestimmen werden. Obwohl sie schon seit Jahren meditiert, ja, sogar selbst Yoga unterrichtet und Seminare leitet, leidet Doris Iding an einer Angststörung. Wer selbst schonmal ähnliches erlebt hat, wird sich dieser Autorin sehr verbunden fühlen.
„Ich hatte höllische Angst vor einer Krankheit. Angst um mein Leben. Und um meinen Verstand. Es brauchte oftmals nur eine Kleinigkeit, irgendein nichtiges körperliches Symptom wie beispielsweise Kopfschmerzen, dass mich aufs Neue vollkommen verunsicherte. {…} Immer und immer wieder hatte ich meinen Arzt aufgesucht, weil ich – und dies war symptomatisch für eine Angsterkrankung -befürchtete, an einer lebensbedrohlichen Krankheit zu leiden. Und immer und immer wieder bestätigte er mir, dass ich nichts zu befürchten hätte, sondern dass alle körperlichen Phänomene wie mein nächtliches Flimmern, die Magenschmerzen oder das Herzrasen nur Symptomträger der Angststörung seien.“
Die Autorin berichtet mutig und ehrlich von ihren Ängsten, deren Ursachen, erlebten Schicksalsschlägen – und von ihren eigenen Rückschlägen beim Kampf gegen die Angst.
Um ihren Ängsten zu begegnen, nimmt sie den Rat ihres Arztes an („Bitte ziehen Sie Ihre Siebenmeilenstiefel aus. Es ist scheinbar an der Zeit, barfuß Schritt für Schritt weiterzugehen“) – und erkennt dabei, dass sie durch’s Leben gehetzt ist und sich überfordert hat, ohne es zu merken.
„Es brauchte viele, viele Monate, wirklich langsamer zu gehen. In der Stadt. In der Natur. Durch mein Leben.“ {…} Mein Körper war so sehr auf den Modus ’schnell laufen‘ programmiert, dass ich erst nach einiger Zeit erkannte, dass ich selbst an Tagen, an denen ich es nicht eilig hatte, schneller lief als nötig. Mit meinem Geist war ich meinem Körper immer ein paar Schritte voraus und das, ohne es wirklich zu merken.“
Doris Iding befragt Ärzte, Therapeuten, Yoga- und Meditationslehrer zum Thema Angst und befasst sich eingehend mit den Lehren zahlreicher spiritueller Lehrer – wie Jack Kornfield, Thich Hat Hans oder Puma Chödrön. Dabei verschweigt sie nicht, dass der Weg zur Befreiung von der Angst steinig und von Rückschlägen geprägt ist.
Die Autorin baut immer wieder Übungen ein und gibt konkrete Tipps und Hilfestellungen im Umgang mit der eigenen Angst. Sie übt sich in Achtsamkeit, Geduld und Mitgefühl und lernt, die eigene Vergänglichkeit zu akzeptieren.
„Nach den Worten des Buddha leiden die Menschen, weil sie so sehr am Leben festhalten. {…} Beziehen wir den Tod in unser Leben mit ein, gewinnen wir sehr viel. Wir lernen dann, intesiver zu leben und die Kostbarkeit des Lebens zu erkennen. Und andererseits glaube ich, dass, wenn wir das Leben so intensiv leben und uns so intensiv auf das Leben einlassen, wir dann vielleicht auch leichter sterben können.“
Ich habe mich an vielen Stellen wiedererkannt und zahlreiche Aussagen haben mich im Kern berührt, da sie Dinge thematisieren, um die ich mir selbst viele Gedanken mache. Daher habe ich das Buch in zwei Tagen mit großer Freude gelesen. Man kann natürlich kein Allheilmittel erwarten oder ein Patentrezept zur Lösung der eigenen Ängste, aber das Buch liefert einem auf jeden Fall Denkanstöße und Lösungsansätze und löst in einem den Wunsch aus, dem eigenen Leben achtsamer zu begegnen.
„Wie prall ist das Leben, wenn wir ganz im Moment leben.“
Es ist heilsam zu lernen, dass jeder Mensch – egal wie die Lebensumstände sein mögen – immer nur das JETZT hat. Denn niemand weiß, was die Zukunft für einen bereit hält.
„Dass es sich bei der Zukunft allerdings nur um einen Gedanken handelt, realisieren wir nicht in dem Moment, wenn unsere Ängste uns peinigen. {…} Aber solange wir glauben, dass unsere Gedanken die Realität ausmachen, sind sie federführend und nicht wir. So lange werden die Gedanken uns beherrschen, statt wir sie.“
Erstaunt hat mich, dass das Thema Angst gerade in der spirituellen Szene scheinbar ein Tabuthema ist. Wer Meditation lehrt, wer Yoga-Kurse gibt oder Achtsamkeitstraining anbietet, darf natürlich nicht selbst unter Lebensängsten leiden. Wozu sonst das ganze Training?
Ich kenne zahlreiche Menschen, die mit übermäßigen Ängsten und Panik zu kämpfen haben, aber in der Öffentlichkeit wird doch nur selten über das Thema gesprochen. Ich bin der Meinung, dieses Buch leistet einen hervorragenden Beitrag zu mehr Offenheit und dem Brechen von Tabus.
Was die Struktur des Buches angeht, so finde ich es leider zu unübersichtlich. Viele Inhalte und Aussagen wiederholen sich an verschiedensten Stellen im Buch. Obwohl das Buch nur 216 Seiten hat, hätte man trotzdem noch straffen können, indem man die einzelnen Abschnitte übersichtlicher zusammen fasst.
Trotzdem: wer selbst mit Ängsten zu kämpfen hat, wer sich für Achtsamkeit und Meditation interessiert – und wer den Gedanken, voll und ganz in der Gegenwart zu leben verlockend findet – dem sei dieses Buch empfohlen.
Buchinformationen
Die Angst, der Buddha und ich von Doris Iding, gebundene Ausgabe, nymphenburger, erschienen im März 2013, 216 Seiten. 18,00 Euro.
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Über die Autorin
„Doris Iding ist Ethnologin und Yogalehrerin. Sie lebt und arbeitet in München als freie Journalistin, Ghostwriterin für die Themenbereiche Spiritualität, Psychologie und Sie unterrichtet auch als Dozentin bei Yogalehrerausbildungen zum Thema Yogaphilosophie. Sie praktiziert seit Jahren Meditation, ist in mehreren buddhistischen und der yogischen Philosophie zu Hause und hat in ihrer Journalistin viele große Meister persönlich kennengelernt interviewt.“
Blick ins Buch
„Wir können Schmerz in unserem Leben nicht vermeiden, aber wir können seine Macht über uns brechen.“
„Das Leben ist, wie es ist: Alle Wesen werden geboren, werden mit Schmerz, Wandel und Vergänglichkeit konfrontiert und sterben. Krankheit, Leid und Tod gehören zum Leben wie die Nacht zum Tag. Die Natur macht es uns jeden Tag und jedes Jahr aufs Neue vor. Alles entsteht und vergeht wieder.“ {…} Solange wir nicht akzeptieren können, dass alles vergänglich ist, bekämpfen wir das Leben.“
„Mein Blick hatte sich so verengt, dass ich nichts anderes mehr wahrnahm. Meine ganze Aufmerksamkeit galt der Angst. Aber nach einigen Wochen gelang es mir dann, meine Aufmerksamkeit immer wieder umzulenken. Anfangs waren es nur kurze Momente, bevor mir die Angst erneut den Blick für die Wunder des Lebens verstellte.“
„Achtsamkeit wird durch Thich Nhat Hanh definiert als die Kunst, in jedem Moment geistig präsent zu sein und dadurch voll und ganz in der Gegenwart zu leben.“
„Wenn Sie Zuflucht zur Geduld nehmen“, so der Dalai Lama, „kann nichts und niemand Ihren Frieden stören. {…} Wenn du es eilig hast, dann mache einen Umweg.“
„Ich begleitete eine Freundin beim Sterben. Es war ein großer Verlust eines wundervollen Menschen, gleichzeitig aber auch ein großes Geschenk, eine so starke und mutige Frau, die keine Angst vor der Vergänglichkeit hatte, beim Sterben begleiten zu dürfen. Sie lehrte mich, wie es ist, wenn wir annehmen, was ist.“
„Ich wurde getragen von dem Glauben, dass alles, selbst eine Krankheit oder ein Verlust, einen tieferen Sinn hat und sich dadurch letztendlich auch alles, besonders die eigene Entwicklung, zum Guten wendet.“
„Und so lernte ich mit der Zeit, auf den Wellen meiner Angst zu reiten, und wurde mit der Zeit immer besser darin.“
Subjects: Achtsamkeit, Angst, Buddhismus, Gesellschaft, Glaube, Leben, Leben im Jetzt, Meditation, Religion