Ein ganzes Leben – ein großes Buch über die kleinen Momente des Glücks

„Er konnte sich nicht erinnern, wo er hergekommen war, und letztendlich wusste er nicht, wohin er gehen würde. Doch auf die Zeit dazwischen, auf sein Leben, konnte er ohne Bedauern zurückblicken, mit einem abgerissenen Lachen und einem einzigen, großen Staunen.“

Ein ganzes Leben_Seethaler

Nachdem „Der Trafikant“ – na ja – OK war, mich aber ja nicht so vollkommen von den Socken hauen konnte, habe ich dem neuen Buch von Robert Seethaler – und dem neuen Protagonisten – eine Chance gegeben. Zum Glück kann ich da nur sagen. „Ein ganzes Leben“ ist ein großartiges Buch über das Leben selbst, über seine Höhen und Tiefen – und über die ganz einfachen Momente des Glücks.


Andreas Egger ist ein einfacher Bursche, der in einem Dorf in den Alpen aufwächst. Von seinem Pflegevater in der Kindheit zum Krüppel geprügelt, wächst er doch zu einem gestandenen Mann heran, der harte Arbeit nicht scheut, sich durch’s Leben schlägt und sich an den kleinen Dingen im Leben erfreut. Egger verliebt sich in Marie, und um seiner großen Liebe etwas bieten zu können, schließt er sich einem Arbeitstrupp an, der die erste Seilbahn der Region baut und damit den Fortschritt ins Tal bringt. Zufrieden mit sich und dem Leben wünscht sich Egger, das Leben möge immer so bleiben. Doch so soll es nicht kommen…

Klar, Andreas Egger ist ein Eigenbrötler, der nicht viel spricht, und manchmal auch nicht viel denkt. Seethaler scheint einen Hang zu Außenseitern zu haben. Sein Protagonist ist anständig, eifrig und steckt sich im Leben keine hohen Ziele. Manchmal ist Egger mir etwas zu einfach. Obwohl der Roman – wie auch schon Der Trafikant – zu Zeiten des zweiten Weltkrieges spielt, findet der Krieg nur als Nebenschauplatz Erwähnung. Egger kriegt nicht viel mit vom Weltgeschehen und hinterfragt es auch nicht. Trotzdem finde ich in dem Buch auch viel Weisheit. Immer wieder mit dem Tod konfrontiert – in den Bergen, beim Seilbahnbau, im Krieg und in Gefangenschaft – lernt Egger das Leben zu akzeptieren und die Momente des Glücks zu ehren.

„Man kann einem Mann seine Stunden abkaufen, man kann ihm seine Tage stehlen oder ihm sein ganzes Leben rauben. Aber niemand kann einem Mann auch nur einen einzigen Augenblick nehmen.“

Ich habe dieses Buch gelesen wie im Rausch – an einem Vormittag. Es ist eine einfache und gerade deshalb ergreifende Erzählung über den Sinn des Lebens. Was ist es, was wirklich im Leben zählt? Ist ein Leben nur erfüllt, wenn der Mensch viel gesehen, viel erlebt, viel besessen hat – wenn er Spuren hinterlassen hat? Müssen wir nach dem Außergewöhnlichen streben, um unseren Leben einen Sinn zu geben? Oder ist es nicht vielmehr außergewöhnlich, wenn wir lernen jeden noch so kleinen Moment des Glücks zu schätzen und in bescheidener Zufriedenheit alt werden? Ich finde, das ist eine gute Frage, über die es sich lohnt nachzudenken – und die bestimmt nicht für jeden gleich zu beantworten ist. Glücklich ist, wer sich selbst findet – wie auch immer dieses Selbst aussehen mag.

Seethalers Roman ist aber auch eine Hommage an die Schönheit der Alpen und eine Liebeserklärung an die Berge. Und er lässt uns daran teilhaben, wie der Einzug des technischen Fortschritts innerhalb nur einer Generation das Leben und unseren Alltag komplett verändert hat. Ich kann nur jedem empfehlen es zu lesen.

Ein ganzes Leben_Zitat

Buchinformationen
Ein ganzes Leben von Robert Seethaler, Taschenbuchausgabe erschienen im Februar 2016, Wilhelm Goldmann Verlag, 192 Seiten. Originalausgabe erschienen im Juli 2014, Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag. 9,99 Euro.

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Über den Autor
Robert Seethaler, 1966 in Wien geboren, wurde 2007 für seinen Roman »Die Biene und der Kurt« mit dem Debütpreis des Buddenbrookhauses ausgezeichnet. Er erhielt zahlreiche Stipendien, schrieb Drehbücher und Romane. Bislang erschienen: »Die weiteren Aussichten« und »Jetzt wirds ernst«. Robert Seethaler lebt und schreibt in Wien und Berlin.


Genre: Belletristik, Gesellschaftsroman, Roman, Selbstfindung
Subjects: Alpen, Einsamkeit, Glück, Krieg, Leben, Lebenswege, Liebe, Österreich, Schicksal, Sinn des Lebens, Tod, Trauer, Verlust

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