Neuland – Wie ich mich selber suchte und jemand ganz anderen fand

„Glaub nicht alles, was du denkst. Alles kann auch ganz anders sein.“

Die Hälfte des Lebens ist vorbei. War sie das nun, die bessere Hälfte? Oder erwartet uns in der zweiten Lebenshälfte noch etwas Großes? Worum geht es eigentlich im Leben? Um gutes Aussehen? Um Gelassenheit? Um Selbstverwirklichung? Darum Gutes zu tun? Oder nur darum, sein Leben so lange wie irgend möglich zu verlängern?

„Alle Frauen in der Lebensmitte sind auf der Suche. Aber es gibt kaum eine, die genau weiß, wonach sie eigentlich sucht. Nach dem Sinn des Lebens? Nach Selbstbewusstsein, Gelassenheit, Achtsamkeit? Nach einem neuen Mann oder lieber doch nur nach einer neuen Haarfarbe? Wie eine panische Büffelherde fegt eine riesige Schar sich selbst verwirklichender Frauen rund um den Globus. Und wer nicht mindestens Yoga macht oder eine Gluten-Unverträglichkeit vorzuweisen hat, verhält sich verdächtig.“

Ildikó von Kürthy ging für ihr neues Werk ein ganzes Jahr lang auf die Suche nach dem Sinn des Lebens. Ob sie ihn gefunden hat? Es sei soviel gesagt: Ob Schweigekloster und Meditation, Entschlackung am Tegernsee oder Yoga mit Ralf Bauer, ob Botox und Fettvereisung, gluten- und zuckerfreie Ernährung, knallhartes Sportprogramm oder radikale Typveränderung, ob Burlesque-, Selbstverteidigungs- oder Rhetorikkurs, ob Stil- und Organisationsberatung, Überlebenstraining oder sogar die Begleitung Sterbender im Hospiz – ausprobiert hat die Autorin vieles.

Neun Herausforderungen stehen auf ihrer To Do-Liste: Kein Alkohol, kein weißer Zucker, keine Kohlenhydrate nach 18 Uhr, nichts neues zum Anziehen und keine Einkäufe im Internet bei Großhändlern, strenge digitale Diät, einen Sommer lang so dünn, so blond und so schön wie möglich sein und dann mal sehen, ob sich das lohnt, Sport 4-6 mal die Woche sowie Ruhe und Konzentration durch Yoga und Meditation.


Nachdem ich während des Lesens von ihrem Buch „Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter“ viel und herzhaft gelacht und mich als frisch gebackene Mama oft selbst wiedererkannt habe, musste ich mir natürlich auch dieses Buch aus dem Leben der Autorin kaufen.

Ich persönlich finde Kürthys Schreibstil sehr unterhaltsam. Lustig und oft knallhart ehrlich. Ich habe wieder oft gelacht. Aus diesem Grund habe ich das Buch gerne zur Hand genommen und ziemlich schnell durchgelesen. Auch wenn ich mich dieses Mal nicht ganz so oft selbst wiedergefunden habe. Es drehte sich für mich doch etwas zu sehr darum, schlank und schön zu sein. Das es in der Kategorie „Ratgeber und Selbsthilfe“ eingeordnet wird, finde ich daher auch ziemlich übertrieben. Ok, ein paar Dinge habe ich mitgenommen für mein Leben. Beispielsweise meditieren, um den Geist zur Ruhe zu bringen und sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren. Die Zitate, die sie aus ihren Seminaren, gelesenen Büchern und Experteninterviews weitergibt, sind zum Teil wirklich lesenswert.

„Achtsam sein heißt, das gewohnheitsmäßige Denken zu unterbrechen und den Ist-Zustand wertfrei wahrzunehmen. Ihr braucht nicht alles zu glauben, was euch durch den Kopf geht. {…} Innehalten schenkt Freiheit. Das Jetzt ist unser wahres Zuhause.“

Und dabei ist es einfach amüsant, Ildikó von Kürty bei ihren Selbstfindungsversuchen zu beobachten:

„Es ist erschreckend, wie schwer es ist, den herumtollenden Geist bei Fuß zu halten. {…} Meine Nase juckt. Wie alt ist der Prinz Harry jetzt eigentlich? Ob mir Blond steht? Meine Knie schmerzen. Wie ist Putin wohl privat? {…} Es ist beschämend, wie ruhelos mich die Ruhe macht. {…} Der Gong der Klangschale ruft mich zurück in die Unwirklichkeit, in der Kopfläuse und Putin keine Rolle spielen, sondern nur der jetzige Moment, weil er der einzige ist, den wir haben, und weil es schön wäre, uns diese vielen einzigartigen Momente nicht zu versauen, in dem wir in Gedanken ständig bei den Momenten sind, die vorbei sind, oder bei denen, die noch vor uns liegen. So verpasst man andauernd das Leben.“

Wie wahr. Auch in ihrer Beschreibung zur Gratwanderung zwischen Genuss und Verzicht, Völlerei und Maß finde ich mich hervorragend wieder.

„Maßlosigkeit in ein vernünftiges Maß bringen, aber trotzdem Dummheiten machen und Regeln brechen: Darum geht es. Die Mischung muss stimmen zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen Vernunft und Unvernunft, zwischen Gemüse und Nikotin, grünem Tee und grauem Burgunder. {…} Entscheidend ist nicht, dass man alle Genüsse aufgibt, sondern dass man die Herrschaft über sie behält.“

Daran arbeite ich selbst gerade noch, wenn ich mir abends eine Tüte Chips öffne und dazu Schokoladenriegel esse ;-).

Also, gespickt mit der einen oder anderen Lebensweisheit, ist das Buch von Frau von Kürthy in erster Linie unterhaltsam. Zumal die meisten ihrer Selbstfindungsversuche für die Ottonormalfrau unerschwinglich und wohl auch kaum geeignet sind, den Sinn des Lebens für sich zu entdecken. Botox, Fettvereisung, Haarverlängerung, Entschlackungskur mit der Prominenz. Bleibt nur zu hoffen, dass ihre Investitionen sich mit dem Buchverkauf wieder amortisieren.

„Künstliche Schönheit verändert allmählich die Sehgewohnheiten aller, ob man will oder nicht. {…} Wir lieben, was wir sehen. Mogli findet Affen schön.“

Bedenklich finde ich Kürthys Verallgemeinerungen was uns Frauen, aber auch die Männerwelt, angeht. Wenn man das so liest, könnte man denken wir seien alle ziemlich oberflächlich und auf Äußerlichkeiten bedacht – als würden alle Frauen ihre Antworten auf existenzielle Fragen des Lebens in Haarverlängerungen, Botox und Idealgewicht suchen. Ich kenne ehrlich gesagt keine. Aber ich verkehre auch nicht in der Hanseatischen Upperclass.

„Botox ist wie Facebook: Wenn du nicht mitmachst, bist du Außenseiter. {…} Sind die Zeiten vorbei, in denen die Zeit noch ungestraft Zeichen hinterlassen durfte?“

Auch kann ich mir wahrhaftig nicht vorstellen, dass alle Männer dieser Erde nur blonde Frauen attraktiv finden und die Brünetten ignorieren.

„Meine bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass Männer und kleine Mädchen wie gebannt auf meine blonde Mähne blicken. Der Barbie-Effekt. {…} Mir hat noch nie einer zugewinkt. Nicht mal mein eigener Mann. {…} Blond sein ist, wie oben ohne zu gehen.“

Es gibt auch einige tiefgründigere und traurige Abschnitte, wie die Mithilfe im Hospiz, auch wenn  die Autorin hier nicht ganz so viel Zeit investiert wie in ihre Schönheitsbestrebungen.

„Reue erlebt sie selten, wenn sie an den Sterbebetten sitzt. Aber in völligem Einvernehmen mit sich und der Welt sterben auch nur wenige. „Kaum einer geht gerne,“ sagt Schwester Jeanette. „Es ist schwer, loszulassen, und auch wenn das Leben unerträglich geworden ist, hängen die meisten an ihm. Einige wenige sterben weise und voll innerem Frieden. Das sind die großherzigen Menschen, die in sich selber ruhen. {…} Man stirbt so, wie man gelebt hat.“

Die Meinung von Frau von Kürthy zum Thema Liebe und Ehe ist, wenn auch nicht gerade romantisch, so doch realistisch und – wie ich finde – durchaus nachahmenswert:

„Es ist irgendwie völlig aus der Mode gekommen zu verzeihen, Kompromisse zu machen, durchzuhalten und der Liebe zuzugestehen, dass sie sich verändert, abnimmt und zunimmt, reif und runzlig wird, so wie die Liebenden im Laufe der Zeit auch. Ich mag es, wenn die Liebe älter wird und sich verändert, wenn sie Krisen standhält, Phasen durchläuft, gute und schlechte Zeiten, und im Laufe der Jahre die gemeinsame Vergangenheit zunimmt.“

Irritierend fand ich, dass ich Zitate aus früheren Büchern wiedererkannt habe – und ich habe erst zwei Bücher der Autorin gelesen. Den Frauenromanen von Ildikó Kürthy wollte ich – nachdem ich ihren Schreibstil so toll fand – auch eine Chance geben und habe mir „Sternschanze“ gekauft. Leider. Ich fand ihn nämlich nicht besonders gelungen und sehr oberflächlich und flach. Aber das nur by the way. Dennoch: ihre Kolumnen und ihr Buch „Unter dem Herzen“ finde ich genial.

Die große Überraschung zum Schluss bleibt in „Neuland“ meines Erachtens aus. Wenn man aber außer Acht lässt, dass es sich in Kürthys Jahr (und Leben?) viel um Oberflächlichkeiten dreht und nicht jedes Wort ganz so ernst nimmt, dann kann man sich beim Lesen köstlich amüsieren. Hin und wieder sind mir ihre Pointen allerdings auch etwas zu gewollt witzig und provozierend.

„Im männlichen Gehirn, das Mutter Natur ja übersichtlich und platzsparend eingerichtet hat, wurden beide Bedürfnisse in einem Bereich angesiedelt. Wenn ein Mann also eine attraktive Frau sieht, wird der Teil seines Gehirns aktiviert, der ansonsten für Hunger zuständig ist. {…} In jedem Mann steckt ein beknackter Affe. Richtig. Aber jedem beknackten Affen steht ein dummes Huhn gegenüber, das sich beeindrucken lässt. Ich kann nur sagen, was das angeht, passen Männer und Frauen hervorragend zusammen.“

Alles in allem eine leichte, unterhaltsame Lektüre, die immerhin die eine oder andere Weisheit durchblicken lässt, aber nicht als genereller Lebensratgeber herhalten kann. Da ich keine 3,5 Sterne vergeben kann, runde ich eher ab auf 3 .

Buchinformationen

Neuland – Wie ich mich selber suchte und jemand ganz anderen fand von Ildikó von Kürthy, Gebundene Ausgabe, Rowohlt Verlag / Wunderlich, erschienen im Januar 2016, 464 Seiten. 19,95 Euro.

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Über die Autorin

„Ildikó von Kürthy ist freie Journalistin und lebt in Hamburg. Ihre Bestseller wurden mehr als fünf Millionen Mal gekauft und in 21 Sprachen übersetzt. Ihr Roman «Mondscheintarif» wurde fürs Kino verfilmt.“

Blick ins Buch

«Heute kann ich die Ruhe nicht mehr ertragen. Ich beherrsche sie nicht mehr, die Kunst der ungeteilten Aufmerksamkeit, und aus meinem Hirn ist ein nervös zuckendes Organ geworden, überlastet, überfordert, überinformiert, überfressen. {…} Jedes Tun hat einen Zweck. Und statt Pause mache ich die Wäsche.»

«Ich hatte also ein Maßband gekauft, es bei sechsundvierzig Zentimetern durchgeschnitten und das erste Stück weggeworfen. Das war meine Vergangenheit.{…} Dann hatte ich das Band ein weiteres Mal bei dreiundachzig Zentimetern gekappt {…}. Übrig blieb mir ein verstörend kurzes Stück Maßband mit einer Länge von siebenunddreißig Zentimetern. Meine Zukunft. Statistisch gesehen. Ich hatte das Maßband in meine Nachttischschublade gelegt, und von dort aus verströmt es seither seltsame Energien.»

«Ich will schlank sein wie die, die nie Kuchen essen, aber ich will trotzdem Kuchen essen. Ich will genauso trainierte Bauchmuskeln haben wie die, die am Tag fünfundvierzig Sit-ups machen, aber ich will keine Sit-ups machen. Oder höchstens vier. Aber nicht täglich.»

„Oft löst bei mir allein die Entscheidung, ein Laster aufzugeben, einen derartigen Stolz aus, dass ich die Umsetzung für nebensächlich erachte. {…} Ich bin eine elende Theoretikerin, eine jämmerliche Praxis-Null.“

«Menschen sind hochentwickelte Energiesparmodell, und ich bin eines der ausgeklügeltsten unter ihnen. {…} Ab wann werden geliebte Gewohnheiten, durch die man sich sicher und beschützt fühlt, zu Hindernissen auf dem Weg zu Erneuerung, Abenteuer, Lebendigkeit?»

«Das wirklich Störende, Frustrierende, Gnadenlose und Ärgerliche an Sport, Bildung, gesunder Ernährung und einem wohltuenden, ausgewogenen Lebenswandel ist: Es gibt kein Happy End. Du kannst nicht runterzählen, du hast es nicht irgendwann hinter dir. Du hast es nie hinter dir, sondern immer vor dir.»

«Es ist wirklich nicht so, dass mein Mann keine Gefühle hat, er kann sie bloß nicht zeigen. {…} Und deshalb bin ich schon vor Jahren dazu übergegangen, seine Gefühle immer gleich mit zu zeigen.»

«Dreihundertfünfundsechzig weiße Seiten. Was wird die Zukunft bringen? Und was wird sie nehmen? Ob einer dieser unbeschriebenen Tage ein schwarzer werden wird? Wird die ganze Welt untergehen? Oder nur meine?»

«Je länger ich im Hörsaal des Lanserhofs der Referentin zuhöre, desto weniger werde ich in Zukunft mit ungetrübtem Genuss essen können, und desto mehr komme ich mir vor wie ein Giftmülldepot, randvoll it den Ablagerungen der Nahrungssünden, die ich in den vergangenen vier Jahrzehnten begangen habe. Im Grunde genommen grenzt  es an ein medizinisches Wunder, dass ich mit den vielen Snickers im Organismus bis jetzt überhaupt überlebt habe.»

«Wie bringt man einen Ballon zum fliegen? Ballast abwerfen. Es ist halb drei morgens, als ich die Türen meines halbleeren Kleiderschrankes schließe. Keine halben Sachen mehr. Ich habe weniger, und mir fehlt nichts. Was für ein Glück.»


Genre: Ratgeber, Sachbuch, Selbstfindung
Subjects: Achtsamkeit, Gesundheit, Leben, Meditation, Schönheit, Selbstverwirklichung, Traum

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