Ganz großes Kino – Die Deutschlehrerin

„Sein ganzes Leben hängt von dieser einen Entscheidung ab! Warum kann man nicht mehrere Entwürfe seines Lebens versuchen und sich dann für einen entscheiden? Ein Leben ist, als hätte man keines! Wenn man sich falsch entschieden hat und sich das im Alter eingestehen muss, wie schrecklich muss das sein.“

Die Deutschlehrerin - Judith TischlerSechzehn Jahre lang sind sie ein Paar, die engagierte Deutschlehrerin Mathilda Kaminski und der Schriftsteller Xaver Sand – bis Mathilda eines Abends nach Hause kommt und er nicht mehr da ist. Sechzehn Jahre später sehen sich die beiden durch einen vermeintlichen Zufall wieder – und arbeiten ihre gemeinsame und getrennte Vergangenheit auf. Was ist damals passiert? Wieso hat Xaver Mathilda verlassen und was passierte in der Zeit danach? In E-Mails und Zwiegesprächen reden die beiden über Liebe & Hass, über Ehrgeiz & Schwermut, über Komplexe & Eitelkeit, über Eheleben & Familie, über Ängste & Abgründe. Ein vielschichtiges Beziehungspuzzle mit überraschenden Wendungen.

Was Mathilda Kaminski und Xaver Sand verbindet ist die Liebe zur Literatur und zum Erfinden von Geschichten. Und so ist auch der Roman eine ganz große Geschichte, die sich aus vielen kleinen Geschichten wie ein Puzzle zusammen setzt. Oft habe ich beim Lesen Mitleid mit Mathilda, schäme mich auch manchmal für sie – und bin dann doch wieder von ihr beeindruckt. Xaver findet mein Verständnis und gleichzeitig meine Verständnislosigkeit. Ich glaube ein bisschen Mathilda und Xaver steckt in jedem von uns.

„Wie lange würde es dauern, dachte sie sich, bis er ihre Unzulänglichkeiten bemerken und sich aus dem Staub machen würde?  {…} Bevor er zu ihr kam, plagte sie sich oft eine Stunde lang, ihr Zimmer, das Abendessen und sich selbst so herzurichten, dass alles zwar gepflegt und ordentlich aussah, dennoch wie zufällig – und flippig – wirkte und auf gar keinen Fall konventionell rüberkam. Xaver hasst Konventionalität. {…} Wenn sie zusammen waren, beobachtete sie ihn, speicherte jede noch so kleine Bemerkung von ihm in ihrem Gedächtnis, sie wollte ihn so schnell wie möglich gut und genau kennen, welche Musik gefiel ihm?, welche Bücher beeindruckten ihn?, was waren seine Träume?, wie stellte er sich sein Leben vor? Und vor allem: Welcher Typ von Frau war seine Traumfrau? Alles wollte sie von ihm wissen, um darauf reagieren zu können.“

Die Geschichte von Mathilda und Xaver ist so ganz anders als alles was ich bisher gelesen habe – und ich möchte hier nicht zu viel vorwegnehmen. Sie ist ein bisschen Krimi und ein bisschen Thriller, sie ist ein Drama und eine große Liebesgeschichte. Immer wieder gelingt es Judith Taschler, mich beim Lesen zu überraschen. Die Erzählweise ist ungewöhnlich, mit wechselnden Perspektiven und eingeschobenen Erzählsträngen. Mal schreiben sich Mathilda und Xaver E-Mails, mal sind sie gedanklich für sich, mal im Zwiegespräch, mal erzählen sie sich Geschichten. Durch den raffinierten Sichtwechsel kann man sich nie so ganz sicher sein, was Lüge und was Wahrheit ist und wo die Geschichte hinführen wird. Ganz großes Kino.

„Jeder Mensch trägt in sich ein Motiv, ein Thema, das die Partitur und Melodie seines Lebens prägt. Meistens ist es so, dass dieses Motiv stark verwoben ist mit der Herkunft und sich dann über das gesamte Leben ausbreitet und stärker wird. Man schafft es nicht, davon loszukommen, ganz egal, wie sehr man sich bemüht, es zumindest blasser werden zu lassen. Manchen Menschen ist ihr Lebensthema durchaus bewusst, zumindest in gewissen Lebensphasen, manchen wiederum nicht, oft deshalb nicht, weil sie nicht in der Lage sind, es sich einzugestehen. Und oft umspielt ein zweites Motiv das erste und gibt ihm die besondere, persönliche Note.”

Buchinformationen

Die Deutschlehrerin von Judith W. Taschler, Droemer TB, erschienen am 1. Dezember 2014, 224 Seiten. 9,99 Euro.

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Über die Autorin

„Judith W. Taschler, 1970 in Linz geboren, ist im Mühlviertel aufgewachsen. Nach einem Auslandsaufenthalt und verschiedenen Jobs studierte sie Germanistik und Geschichte. Sie lebt mit ihrer Familie in Innsbruck und arbeitete jahrelang als Lehrerin. Mittlerweile ist sie freie Schriftstellerin und Drehbuchautorin. Für ihren Roman „Die Deutschlehrerin“ gewann sie 2014 den renommierten Friedrich-Glauser-Preis.“


Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur, Krimi, Liebesroman, Roman, Thriller
Subjects: Abgründe, Angst, Beruf, Familie, Geschichten, Kinder, Komplex, Liebe, Schreiben, Tod, Traum, Verlust

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