„Als Selma sagte, sie habe in der Nacht von einem Okapi geträumt, waren wir sicher, dass einer von uns sterben musste, und zwar innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden.“
Ein Dorf irgendwo im Westerwald. Die alte Selma kann den Tod voraussehen. Immer, wenn sie von einem Okapi träumt, stirbt jemand im Dorf. Wen es treffen wird, dass weiß allerdings niemand so genau. Da gibt es den liebenswerten Optiker, der schon seit Jahrzehnten in Selma verliebt ist, sich aber nicht traut es ihr zu sagen. Es gibt die abergläubische Schwägerin Elsbeth, die gegen alles ein Mittelchen weiß – nur nicht gegen den Tod. Es gibt den Dorfcholeriker Palm und dessen Sohn Martin, die traurige Marlies, die eigentlich nur schlechte Laune hat, und den alten Bauer Häubel – den einzigen, der den Tod sehr gerne begrüßen würde. Und dann gibt es da natürlich noch Selmas Enkelin Luise, deren erste große Liebe in Japan lebt, Luises Vater, der immer etwas mehr Welt in das Dorf lassen möchte, und Luises Mutter Astrid, die seit Jahren bis oben angefüllt ist mit der Frage, ob sie ihren Mann verlassen soll. Und zu guter Letzt gibt es da auch noch Familienhund Alaska, eine Mischung aus Braunbär, Shetlandpony und unentdecktem Landsäugetier, der wohl noch alle anderen im Dorf überleben wird…
„Es ist aber auch ein Pudel drin“, sagte mein Vater beschwichtigend, „glaube ich. Er dürfte also nicht so groß werden.“ Er betrachtete den Hund und sah zufrieden aus. „Vielleicht,“ sagte er, „ist auch noch ein Cockerspaniel drin. Die sind nicht besonders intelligent, haben aber ein freundliches Wesen.“ Mein Vater lächelte begütigend in die Runde, als träfe das auf uns alle zu. „Ich würde mal tippen, er wird so mittelgroß. Standardpudelgröße.“
Dieses Buch MUSS man einfach lieben!! Ein absoluter Pageturner, der einen zum lachen und weinen bringt – oft auch beides gleichzeitig. Ein Buch, dessen Charaktere man so sehr lieb gewinnt, dass man sie einfach nicht gehen lassen und daher am liebsten gleich nochmal von vorne beginnen möchte! Ich nehme es vorweg: KAUFT EUCH DIESES BUCH!
Lange hatte ich den Roman von Mariana Leky im Regal liegen. Ich hatte viele Lobeshymnen darüber gelesen, aber irgendwie konnte ich mich nicht dazu aufraffen, mit dem Buch anzufangen. Der Klappentext mit dem Hinweis auf die Prophezeiung des Okapis hat mich irgendwie abgeschreckt; ich wusste nicht, ob das Buch tatsächlich was für mich ist. Letztendlich habe ich es mit in den Urlaub nach Sri Lanka genommen – und dort musste ich mich dann regelrecht dazu zwingen, es mal aus der Hand zu legen – zum Beispiel um essen zu gehen, oder auf’s Klo – oder weil mein Sohnemann seine Mama berechtigterweise auch mal ohne Buch vor der Nase sehen wollte
„Selma hatte recht gehabt. Ich hatte etwas verwechselt. Frederik ereilte mich nicht wie ein Gerichtsvollzieher oder ein Herzinfarkt, und auch die Verstockung war weisungsgemäß ausgeblieben. Hier ist es, dachte ich, das hoch gehandelte Hier und Jetzt, von dem der Optiker immer spricht. Hier war ich, obwohl ich fast überhaupt nichts sehen konnte, mitten im Hier und Jetzt statt wie sonst im Wenn und Aber, und ich nahm Frederiks Hand, und dann krachte es sehr laut, und ich war sicher, dass das ein Band war, ein Band, das von meinem Herzen sprang, aber es war der Hubkolben.“
Dieses Buch lebt von seinen schrulligen, liebenswerten Charakteren, seinem Humor – und den klugen, leisen Untertönen, die einem so viel über das Leben verraten. Ich habe ganz besonders Selma und den Optiker ins Herz geschlossen, dessen Namen man erst ganz zum Schluss erfährt, und natürlich Luise und ihre Verstockung . Aber eigentlich lernt man, das komplette Dorf mit all seinen Bewohnern zu lieben – ihren liebenswerten, vertrauten, schrullig witzigen Umgang miteinander – und schon während der Lektüre verspürt man irgendwie den Drang, seine Sachen zu packen und in den Westerwald zu ziehen. Indem wir als Leser das Vergnügen haben dürfen, eine Weile mit diesen Menschen in diesem Dorf dort im Westerwald zu leben, lernen wir viel über Liebe, Mut, Zusammenhalt und die Entscheidungen, die es im Leben zu treffen gilt.
Dieses Buch ist so anders, als alles was ich bisher gelesen habe – inhaltlich und stilistisch ist es für mich mit keinem anderen Buch vergleichbar. Es zelebriert auf sehr sehr humorvolle, und doch tiefgründige Weise die Liebe zu den Menschen, zur Heimat, zur Welt, zum Leben. Und in einer Rezension kann man ihm gar nicht gerecht werden. Also geht los und kauft euch dieses Buch!
Der erste Absatz
„Wenn man etwas gut Beleuchtetes lange anschaut und dann die Augen schließt, sieht man dasselbe vor dem inneren Auge noch mal, als unbewegtes Nachbild, in dem das, was eigentlich hell war, dunkel ist, und das, was eigentlich dunkel war, hell erscheint.“
Buchinformationen
Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky, gebundene Ausgabe, erschienen am 18.07.2017 im DuMont Buchverlag. 320 Seiten, 20,00 Euro.
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Über die Autorin
„Mariana Leky, studierte nach einer Buchhandelslehre Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Bei DuMont erschienen der Erzählband ›Liebesperlen‹ (2001), die Romane ›Erste Hilfe‹ (2004), ›Die Herrenausstatterin‹ (2010) sowie ›Bis der Arzt kommt. Geschichten aus der Sprechstunde‹ (2013). 2017 erschien ihr Roman ›Was man von hier aus sehen kann‹, der wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. Die Autorin lebt in Berlin und Köln.“
Subjects: Buddhismus, Dorfleben, erwachsen werden, Familie, Freundschaft, Glück, Heimat, Japan, Leben, Leben im Jetzt, Lebenswege, Liebe, Mut, Selbstverwirklichung, Tod, Trauer, Verlust, Westerwald, Zusammenhalt