SOPHIA oder Der Anfang aller Geschichten

„Die wahre Religion aber sei die Liebe, und die kenne weder Krieg noch Rassismus, noch Inquisition.“

40 Jahre nach seiner Flucht aus Syrien kehrt Salman in seine Heimat Damaskus zurück. Nie hat sie ihn losgelassen – diese Stadt, die so unberechenbar und doch so wunderschön ist. Obwohl Salman in Rom, mit seiner italienischen Frau und seinem Sohn eine neue Heimat gefunden hat, obwohl die Geschäfte mehr als gut laufen, fühlt er eine tiefe Sehnsucht nach seinem Vaterland und die Gewissheit, dass er diese Reise antreten muss. Er weiß, dass es für ihn gefährlich werden kann, denn in Syrien gilt er als gesuchter Mann.


Salman nimmt uns mit auf seine Reise in die Vergangenheit, lässt uns eintauchen in das Land Syrien – von den Nachkriegsjahren bis zum Beginn des Arabischen Frühlings. Er lässt uns teilhaben an den Streifzügen durch seinige einstige Heimat Damaskus, doch Salman findet nicht mehr die Stadt aus seiner Kindheit vor, nicht die Stadt, die ihn in den letzten 40 Jahren in seinen Gedanken begleitet hat.

„Was für eine Gesellschaft hat der Assad-Clan in dieser Fabrik der Angst produziert? Die Syrer, das lauteste Volk des Orients, sind heute gebrochen, leise und feige. Sie kriechen und gehorchen.“

Die Leser lernen Salmans wunderbare, laute Familie kennen, seine Nachbarn, seine Freunde – und seine Feinde. Denn sein Cousin Elias, dem er einst das Leben gerettet hat und der inzwischen ein hochrangiger Offizier beim Geheimdienst ist, hat noch eine Rechnung mit ihm offen. Als Salman eines Tages sein Fahndungsfoto in der Zeitung entdeckt, muss er untertauchen und dabei jede Hilfe in Anspruch nehmen, die er kriegen kann…

Der Roman erzählt von der Geschichte Syriens, vom syrischen System mit seinen zersplitterten Geheimdienst-Apparaten und von den Menschen, die unter diesem Regime leben müssen. Er erzählt von Brutalität und Angst, aber auch von Widerstand und Menschlichkeit vor dem Hintergrund politischer Ereignisse in Syrien.

„In den arabischen Ländern wird es keine Veränderung geben, solange nicht die Struktur der Sippe zerschlagen wird, die uns körperlich und geistig versklavt. Die Sippe baut auf Gehorsam und Loyalität und pfeift auf Demokratie, Freiheit oder die Würde der Menschen. Sie durchdringt und zersetzt alles wie ein Pilz. Zuckerbrot und Peitsche: Ein bisschen Geborgenheit bietet sie gegen ein bisschen Würde…“

„Sophia“ ist aber dennoch kein politischer Roman im eigentlichen Sinne, sondern in erster Linie eine große Hommage an die Liebe. Das Buch zeigt sie in all ihren Faszetten. Es erzählt von den ersten Frühlingsgefühlen und der Leidenschaft des Kennenlernens. Es erzählt von Untreue und Versuchung. Es erzählt von Ehe, Familiengründung und Mutterliebe. In einem zweiten Erzählstrang erleben die Leser außerdem die unglaubliche Liebesgeschichte von Karim und Aida. Wunderschön sind Rafik Schamis Beschreibungen über Liebe und Leidenschaft bis ins hohe Alter und man wünscht sich nichts sehnlicher, als diese Leidenschaft ebenfalls bis ins hohe Alter zu spüren.

Sophia ist daher auch ein Roman über starke Frauen, über Heimatliebe und Familie. Anfangs noch im Unklaren erkennt man im Laufe der Geschichte, dass Sophia, Salmans Mutter, die leise Heldin des Romans ist und das verbindende Element – eben der Anfang aller Geschichten.


Ist es nicht wundervoll, ein Buch aufzuschlagen und sich gleich in den ersten Satz zu verlieben?

Es ist mein erstes Buch von Rafik Schami – übrigens ein Synonym das „Damaszener Freund“ bedeutet – und ich habe mich gleich in die orientalische Erzählweise des Autors verliebt. Trotz blumiger Worte wirkt sie überhaupt nicht kitschig, sondern einfach nur wunderschön. Sie lässt einen eintauchen in die Geschichte, in die Schicksale und in die Orte, die Schami mit seinen Worten zum Leben erweckt. Und so spürt man auch ganz deutlich die Liebe zu seiner Heimatstadt Damaskus, die er selbst seit 45 Jahren nicht mehr betreten kann. Gerade deshalb fand ich es beeindruckend, mit welcher Genialität es dem Autor gelingt, die Stadt vor dem inneren Auge des Lesers entstehen zu lassen, wie er sie mit seinen Worten zu Leben erweckt. Und Schami weiß wovon er spricht. Als er in einem Interview gefragt wurde, was seinen Protagonisten Salman dazu treibt nach Damaskus zu reisen, obwohl er weiß dass diese Reise gefährlich werden kann, antwortete Schami:

„Es ist die Wunde des Exils. Auch ich stand 2009 kurz vor der Rückkehr, ich bekam ein sehr verführerisches Angebot von der syrischen Regierung, doch im letzten Augenblick habe ich abgelehnt, weil ich das Spiel durchschaut habe. Heute bin ich froh, dass ich meiner Eitelkeit nicht gefolgt bin.“

Die Stimmung des heutigen Syriens musste der Autor daher in den Medien und in Gesprächen mit Oppositionellen unterschiedlichster Anschauungen einfangen.

Zitat_Oscar Wilde Im gesamten Buch ist fühlbar, dass Rafik Schamis Herz sowohl für den Orient als auch für den Westen schlägt. Und so sind auch die Handlungsorte des Romans gewählt: Damaskus, Homs, Beirut, Heidelberg und Rom. Viele Kapitel sind mit passenden Sprichwörtern versehen, die sowohl dem Arabischen als auch dem christlichen Abendland entstammen, und die einen aus tiefster Seele mitten ins Herz treffen.

Der Autor versteht es, die verschiedenen Erzählstränge gekonnt zu einem gemeinsamen Nenner zu verknüpfen.  Dem Leser bietet sich eine unglaubliche Themenvielfalt: Krieg, Politik, Verfolgung, Flucht und Exil, Drama, Spannung, Angst, Verlust – und das alles beherrschende Thema: die Liebe.

Kurzum: UNBEDINGT LESEN!

Buchinformationen

Sophia oder Der Anfang aller Geschichten von Rafik Schami, Gebundene Ausgabe, erschienen im August 2015, Hanser Verlag, 480 Seiten. 24,90 Euro.

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Über den Autor

Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus geboren und flüchtete 1971 nach Deutschland. Seine Bücher wurden in 24 Sprachen übersetzt und sind mehrfach ausgezeichnet. Schami ist in vielen Genres zuhause. Bei Hanser erschienen außer „Sophia“ seine Romane „Die dunkle Seite der Liebe“, „Das Geheimnis des Kalligraphen“ und „Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte“. Im Hanser Kinderbuch erschienen außerdem „Das Herz der Puppe“ und „Meister Marios Geschichte“. 


Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur, Gesellschaftsroman, Roman
Subjects: Damaskus, Diktatur, Exil, Familie, Flucht, Freundschaft, Gesellschaft, Glaube, Heimat, Leben, Lebenswege, Leidenschaft, Liebe, Revolution, Schicksal, Syrien, Terror, Tod, Verlust, Widerstand, Zusammenhalt

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