Durchgeknallt, witzig und wortreich: Grün ist die Hoffnung

„Erstaunlich war daran allerdings nur, dass wir überhaupt was anderes erwartet hatten – denn es ist immer so gewesen, und es wird immer so sein: das Leben gewährt keine Erfüllung, in Ewigkeit, amen.“

San Francisco/USA. Felix Nasmythe, Alt-Hippie, 31 Jahre alt, hat nie etwas zu Ende gebracht. Er hat College und Studium abgebrochen, ist geschieden und hat jede Menge Jobs hingeschmissen. Eines Tages steht ein alter Bekannter vor seiner Tür und macht Felix ein unwiderstehliches Angebot: gemeinsam mit zwei durchgeknallten Kumpanen soll er irgendwo im kalifornischen Hinterland eine Marihuanaplantage hochziehen. Die Unternehmung verspricht Abenteuer, aber vor allem das schnelle Geld – und so ziehen Felix, Phil und Gesh für neun Monate in die kalifornische Einöde. Doch die Hindernisse auf dem Weg zum triumphalen Coup sind vielfältig, und so sehen sich die drei mit schnüffelnden Nachbarn, durchgeknallten Hinterwäldlern, aggressiven Polizisten, lästigen Tieren und schönen Frauen, aber besonders mit einer brutalen und unnachgiebigen Natur konfrontiert, die ihren großen Gewinn mit jedem Monat unwahrscheinlicher macht.

Durchgeknallt, witzig und wortreich: so lässt sich T.C. Boyles früher Roman aus dem Jahre 1984 wohl am besten beschreiben. Die Story ist recht einfach und schnell erzählt, doch Boyle versteht es einfach, dank seiner bildhaften Sprache – mit unzähligen Metaphern und witzigen Vergleichen – den Lesegenuss aufrecht zu erhalten. Wer sich mit der Story anfreunden kann – es geht um Drogen, Alkohol, Sex und Geld – und keinen allzu großen Tiefgang erwartet, der wird mit einer irrwitzigen, amüsanten Erzählung belohnt, die für den Lesegenuss einiges zu bieten hat: unzählige schräge Typen, intelligenter Wortwitz und einen Protagonisten, der einem trotz aller Schluffigkeit – und vielleicht gerade deswegen – sehr ans Herz wächst.

In meiner Kindheit hatte nichts auf eine Verbrecherlaufbahn hingedeutet. Ich war kein Waisenkind, ich wurde nicht geschlagen oder ausgesetzt, ich hing nicht, eine Zigarette im Mundwinkel und ein Stilett in der Tasche, an Straßenecken herum, ich hatte weder einen Dachschaden infolge jahrelanger Aufenthalte in Erziehungsheimen noch war ich moralisch und körperlich ausgezehrt, weil ich auf taubenverschissenen Treppen im Ghetto Heroin gefixt hatte. Nein – ich war ein Kind der Mittelschicht, ich wurde mit Schokoriegeln, Fertiggerichten und Antibiotika gefüttert, bis ich meine Eltern überragte wie der riesenfüßige Abkömmling einer anderen Spezies, wie ein Kuckuckskind, das von Spatzen großgezogen wurde. [,,,] Dennoch war ich, zwei Stunden, nachdem Vogelsang gegangen war, und trotz einer an Narkolepsie grenzenden Müdigkeit und einem beständigen, niagaragleich strömenden Regen, unterwegs nach Lake Tahoe, um die ersten unwiderruflichen Schritte in den Abgrund des Verbrechens zu tun.“

Auf ihrem Weg zum großen Geld müssen die drei frisch gebackenen Haschbauern und ihre Hintermänner so einige Hindernisse überwinden. Neun Monate lang plagen sie Dreck und Hitze und Langeweile – wenn sie nicht gerade einen Kampf gegen die Natur ausfechten. Die einzige Abwechslung darüber hinaus: Schnaps, Kartenspiele, zigmal gelesene Taschenbücher, Gespräche am Abend – und natürlich Dope. Neun Monate lang verbringen die drei Freunde zwischen Hoffen und Bangen – und begegnen dabei nicht nur vielen verschrobenen Typen beidseitigen Geschlechts, sondern auch ihren eigenen Ängsten, Träumen und Überzeugungen.

Natürlich war es leicht, einen moralischen Standpunkt zu predigen, wenn man in einer Wohnung mit Teppichboden in New York oder San Francisco saß und ein Sandwich mit Avocadocreme und Sojasprossen mampfte. Jetzt stand ich auf der anderen Seite, jetzt war ich mit der Natur an ihren Wurzeln konfrontiert, statt auf dem Sofa zu liegen und davon zu lesen. Und in ihren Wurzeln war die Natur schmutzig, anarchisch, undiszipliniert, dem Fortschritt und dem amerikanischen Traum grundsätzlich feindlich gesonnen.“

Auch wenn die Story teilweise etwas ausufernd und eigentlich auch ein bisschen flach ist, geht es in diesem Buch keineswegs nur flach zu. Denn der Roman handelt auch von Freundschaft, Zusammenhalt und Liebe. Es geht um Träume und Hoffnungen und Lebensentwürfe. Der Autor seziert den amerikanischen Traum, in dem jeder Mensch durch harte Arbeit einen guten Lebensstandard erreichen kann. Er verblüfft mit einem unermesslichen Wortschatz und Protagonist Felix erfreut uns trotz seines ständigen Scheiterns mit seinem Wissen aus der Kunst-, Literatur- und Musikgeschichte. Die Dialoge schaffen es daher, plump und geistreich zugleich zu sein und hatten gerade dadurch für mich eine spezielle Anziehungskraft. Die oft großartigen, oft einfach witzigen Metaphern und Analogien werden von Boyle zwar teilweise schon etwas zu inflationär eingesetzt, aber es ist eben auch ein früher Boyle. Hier durfte er noch üben.

Ich habe Felix gerne auf seinem Weg ins Sommerlager und wieder hinaus begleitet und kann dieses leicht durchgeknallte Buch jedem ans Herz legen, der auf eine überdrehte Story mit skurrilen Typen steht.

„Dreck. Die Grundlage aller Dinge, der Anfang und das Ende. Wir bestehen aus Dreck, nicht aus Wasser, und im Dreck werden wir dereinst ruhen. In unserem Sommerlage aßen wir Dreck, wuschen uns mit Dreck und schliefen in dreckverschmierten Schlafsäcken sehr nahe am Dreck; kein Zweifel, im Sommerlager lebten wir in inniger Beziehung zum Dreck.“

Der erste Absatz

Ich hab immer alles hingeschmissen. Ich bin bei den Pfadfindern wieder raus, genau wie aus dem Kinderchor und dem Schulorchester. Hab meine Morgenzeitungtour hingeschmissen, der Kirche den Rücken gekehrt, mit dem Basketballtraining aufgehört. Ich hab das College aufgegeben, bin hart am Militärdienst vorbei, Tauglichkeitsgrad 4-F wegen psychischer Labilität, ging danach zurück auf die Uni, um es noch einmal zu versuchen, nahm ein Doktorandenstudium in Englischer Literatur des neunzehnten Jahrhunders auf, saß immer in der vordersten Reihe, schrieb eifrig mit, kaufte mir eine Hornbrille und schmiß das Ganze dann kurz vor dem Abschlußexamen hin. Ich heiratete, trennte mich und ließ mich scheiden. Gab das Rauchen auf, das Joggen, das Essen von Rindfleisch. Jobs habe ich auch aufgegeben: Totengräber, Tankwart, Versicherungsvertreter, Filmvorführer in einem Pornokino in Boston. Mit neunzehn hüpfte ich Hals über Kopf ins Bett eines Mädchens mit verhärmtem Gesicht und Hängebusen, das ich aus der Schule kannte. Das Mädchen wurde schwanger. Ich verschwand aus der Stadt. So ziemlich das einzige, was ich nicht hingeschmissen habe, war das Sommerlager. Und davon erzähle ich euch jetzt.“

Buchinformationen

Grün ist die Hoffnung von T.C. Boyle, Taschenbuch, Februar 2005, 448 Seiten, Deutsche Übersetzung: Werner Richter, 8,95 Euro. Neuübersetzung Mai 2017: Dirk van Gunsteren, erschienen im dtv Verlag 11,90 Euro. Hardcover erschienen im Hanser Verlag, 24,90 Euro. Originaltitel Budding Prospects, erschienen im April 1984 bei Viking .

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Über den Autor

T. Coraghessan Boyle, geboren 1948 in Peekskill, New York, unterrichtet an der University of Southern California in Los Angeles. Für seinen Roman ›World’s End‹ erhielt er 1987 den PEN/Faulkner-Preis. Als Enfant terrible der amerikanischen Gegenwartskultur wurde T. C. Boyle zum Pop- und Literaturstar seiner Generation.“


Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur, Humorvoller Roman, Roman
Subjects: Abenteuer, Drogen, erwachsen werden, Freundschaft, Geld, Gesellschaft, Hoffnung, Lebenswege, Liebe, Literatur, San Francisco, Sex, Traum, USA, Zusammenhalt

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